Home
Wie lernt man eigentlich Homeoffice?
Seit zwei Wochen habe ich einen neuen Arbeitsplatz. Unschlagbarer Vorteil ist mein neuer Arbeitsweg und dass es nicht mehr so sehr ins Gewicht fällt, wenn ich mein am Abend zuvor vorbereitetes Essen auf der Anrichte vergessen habe. Und sonst? Über die Vor- und Vorurteile vom zu Hause arbeiten.
Seitdem ich 14 Jahre alt bin arbeite ich. Damals waren es Jobs wie Zeitungen und Prospekte austragen, dann hinterm Tresen im Eiscafé (eine der wenigen Gastroerfahrungen; zu Recht!), ich habe in der Werkstatt und im Sonnenstudio geputzt, Brötchen und Kuchen verkauft und mit Eintritt ins Studium eigentlich nur noch im Büro gearbeitet – zu Hause hat sich dieses dabei nie befunden.
Großer Vorteil an der Arbeit von zu Hause ist, dass ich mein Zuhause wirklich, wirklich gerne mag und in den letzten Monaten sehr wenig gesehen habe. Aber ich mag mein Zuhause als Zuhause. Ich habe bewusst kein Arbeitszimmer mehr, sondern ein Lese- und Gästezimmer, in dem sich kein Schreibtisch befindet. Dafür besitze ich einen großen und langen Esstisch im Wohnzimmer. Das zeigt sehr deutlich, wo meine Leidenschaften liegen. Ich habe einfach gerne Gäste, Menschen bei mir, bin – auch wer mich nur oberflächlich kennt weiß dies – einfach ein geselliger Mensch. Nun also Homeoffice, arbeiten von zu Hause aus. Allein.
Meinen Arzt konsultierte ich direkt nach meiner Rückkehr, wie am besten mit der Situation umzugehen wäre (aus Spanien kannte ich ja nur das ganz oder gar nicht, in der letzten Woche nur letzteres). Er fragte ob es möglich sei, von zu Hause aus zu arbeiten und wies streng auf das social distancing hin. Ja, mein Arbeitgeber erlaubte mir dies. Gut. Gut? Es war auf jeden Fall auch für die Kolleginnen aus den anderen Bezirken und natürlich mich selbst eine recht neue Erfahrung. Komplettes arbeiten aus den eigenen vier Wänden – challenge excepted.
Zunächst bedeutete es, sich Gedanken darüber zu machen, was man denn alles aus dem Büro benötigte, um weiter ganz normal arbeiten zu können. Das Telefon umzustellen war rasch erledigt. Laptop mitnehmen, Unterlagen, Drucker (!) und, und, und. In der ersten Woche fuhr (Fahrrad) oder lief (Morgenjoggingrunde) ich noch fast jeden anbrechenden Tag um 7 Uhr ins Büro, um ohne Menschen zu treffen Dinge zu holen oder vor Ort zu erledigen. Um es vorweg zu nehmen: einen Esstisch, der seinen Namen verdient, habe ich seither nicht mehr, dafür aber einen schönen Blick in meinen Hinterhof.
Seit zwei Wochen arbeite ich also im Wohnzimmer. Hartnäckige Gerüchte: super, da kann man ja den ganzen Tag im Jogger rumlaufen, kann anfangen, wann man will und nebenbei noch den Haushalt schmeißen. Nein. Gar nichts davon. Mein Tag hat sich zur Arbeit vor Ort im Büro kaum verändert. Wer mich kennt, weiß, dass ich am liebsten in den frühen Morgenstunden laufen gehe – wer hätte gedacht, dass das mal das Vernünftigste sein würde? Ok, ich habe eine weitere Leidenschaft in meinem Alltag ausgebaut, doch dazu ein anderes Mal vielleicht mehr. Die Struktur ist wichtig und ja, ich kleide mich ordentlich wie immer (nicht nur für etwaige Videocalls obenrum). Ich fange tatsächlich früher an (die Sache mit dem Arbeitsweg), allerdings vergesse ich oft zu essen, was inzwischen dazu geführt hat, dass meine geliebte Mama dazu übergegangen ist, mich gerne um die Mittagszeit anzurufen um zu kontrollieren, ob ich auch eine Pause einlege. Mein Schrittzähler verdient nicht mehr seinen Namen, nun gut. Irgendwas ist ja immer.
Mitarbeiterinnenbesprechungen haben wir nun häufiger, verrückt, was plötzlich alles möglich ist. Ja, durch frühere Fernbeziehungen war Videotelefonie schon mal ein Thema gewesen, aber wer hätte gedacht, dass man in der Zeit des von zu Hause arbeiten geradezu von einer solchen in die nächste stolpern würde, sich in manchen von vorherein entschuldigen muss, dass man nur 1 oder 1,5 Stunden Zeit habe, weil dann die nächste folge. Und ich spüre förmlich, wie gerade ein Lächeln über die Gesichter meiner frei beruflich tätigen, überwiegend von zu Hause aus arbeitenden Freundinnen geht, die wohl diese Zeilen Kopf schüttelnd lesen und dabei denken: kleine, naive Sabrina. Aber: Hey! Ich hab‘ das nie gelernt! Das ist wie die (!!) (finale!) Abiklausur schreiben, jahrelang wirst Du nur mit höchstens dreistündigen Klausuren behelligt und im Abi dann plötzlich: BÄM! Fünf Stunden, Du machst das schon. Und was soll ich sagen: beim Abi hatte man nur eine Chance, friss oder stirb. Da ist dieser Homeoffice-Lernprozess doch wesentlich schneller von statten gegangen und, unter uns gesagt, langfristig wahrscheinlich auch von mehr Erfolg gekrönt. Ein Manko: die Kolleginnen und vor allem auch die Jungs aus meiner Büroetage, der zwischenmenschliche Kontakt – das fehlt. Aber auch das ist eine ganz andere Geschichte, zu der zu einem anderen Zeitpunkt noch ein paar Worte geschrieben seien.
Bleibt (wenn es geht) schön zu Hause und bleibt gesund!
P.S.: kann man das eigentlich in sein CV als hard skill mit aufnehmen? Frage für einen Freund.
Liebe in Zeiten von Corona
Ganz genau, dies soll ein Kapitel über die Liebe sein. Die Liebe zur Freiheit, die Liebe zur Solidarität und natürlich über die Liebe zu diesem mir so ans Herz gewachsenen Ort.
Ursprünglich hatte ich nur einen 12 tägigen Aufenthalt an meinem von mir so gerne als Happy Place titulierten Ort geplant. Unter uns: gefühlt verweile ich hier immer zu kurz, ob sieben, zehn oder 14 Tage. Mit Freundinnen und Kollegen in Hamburg stand ich im engen Kontakt und als ich hörte, wie sich die (Arbeits-)Situation in der Heimat veränderte, besprach ich mich kurzerhand mit Arbeitsumfeld und Vorgesetzten und beschloss, noch etwas länger an diesem Ort zu bleiben. Sonne, Meer und liebe Menschen lockten zu sehr, um diese Möglichkeit nicht zu ergreifen und stattdessen direkt nach Rückkehr im Homeoffice zu arbeiten.
Am letzten Abend von am kommenden Tag abreisenden Freunden gingen wir noch einmal in recht großer Gruppe essen und beschlossen danach noch in einer Bar den Abend ausklingen zu lassen. Wir hatten zu dem Zeitpunkt gerade erfahren, dass es ab Montagmorgen, 8 Uhr eine Ausgangssperre geben solle; was man sich genau darunter vorstellen könne, war mir zu dem Zeitpunkt nicht klar, hatte ich solches doch noch nie zuvor erlebt.
Kurz vor Mitternacht erschien der Besitzer der Bar am Kickertisch und teilte uns mit, dass wir sofort gehen müssten, man hätte die Sperre vorgezogen und alle Bars und Restaurants hätten sofort zu schließen. Das war schon etwas seltsam, auf Gomera dauern die Abende ohnehin nie besonders lange an, aber dass sie so Hals über Kopf beendet werden, war dann doch eher ungewöhnlich. Am nächsten Morgen hörte ich unter meinem Fenster die Cafés eröffnen, ihre Terrassen mit Sitzmobiliar bestücken und dachte zunächst, dass es dann doch nicht so dramatisch werden könne, wie Einheimische es am Abend zuvor bereits befürchtet hatten. Doch schon kurze Zeit später kam die Guardia Civil (Polizei mit Stellung als Berufssoldaten) und teilte mit, dass man umgehend zu schließen habe.
In diesem Moment bemerkte ich bereits einen Wandel der Stimmung. Nicht dass es falsch verstanden wird: die GC war freundlich, setzte eher darauf, dass man sich den Anweisungen einfach fügte. Am Verbleib der Menschen auf der Promenade und auch am Strand bemerkte man schon, dass viele es nicht so ernst nahmen. Aber was denn auch genau? Wir alle lieben unsere Freiheit und lassen uns dieser nur ungern berauben. Und nun hatte man (die meisten als Urlauber an diesem Ort) über das Internet oder durch Mund zu Mund Verbreitung erfahren, dass man nicht mehr auf die Straße dürfe. Aber warum? Es gab keinen offiziellen Aushang, keine Verlautbarung auf dem zentralen Platz oder ähnliches. Es hieß schlicht, dass das Dekret vom 14. März 2020 fortan verbiete, ohne triftigen Grund auf die Straße zu gehen. Man solle einfach in seiner Unterkunft bleiben. Ob es meiner deutschen Mentalität zuzuschreiben ist oder meiner Begriffsstutzigkeit oder was auch immer, in mir wuchs ein trotziges „aber warum denn?“
Und so kamen wir (alles Alleinreisende) am ersten Abend noch zu dritt bei mir auf dem Balkon zusammen und verbrachten einen geselligen Abend bei Wein und Tapas zusammen. An der Strandpromenade unter meinem Fenster hatte man bereits Absperrungen zum Strand aufgestellt und wir hörten, dass dies an allen Stränden im Valle Gran Rey so gehandhabt wurde. Der Strand wurde polizeilich geräumt, die Menschen aus dem Wasser gepfiffen.
Am nächsten Tag bemerkte ich direkt beim Erwachen, dass sich einiges verändert hatte. Ich ging zum Bäcker und spazierte direkt hinein, da dieser so schön leer war, wurde aber umgehend hinauskomplimentiert und bemerkte erst dann, dass die vermeintlich gesellige Runde direkt vor der Tür die Schlange der Wartenden war. Im Bäcker selbst waren nur noch zwei Personen zugelassen, zum Tresen musste ein Abstand gewahrt werden. Dann sah ich auch die Schlange der Wartenden vor dem Supermarkt. Es machte sich keine Panik breit, ging ich doch davon aus in einem Land wie Spanien nicht zu verhungern, aber dieses Anstehen war schon … mindestens seltsam. Rebellisch wie ich war besprach ich mich mit einem dort lebenden Freund und wir fuhren zu dritt zu einem Supermarkt einen Ort weiter, den man noch ohne Wartezeit problemlos betreten konnte. Wir deckten uns mit handelsüblichen Mengen von Lebensmitteln ein und fuhren wieder nach Hause. Und dort blieben wir dann auch. Inzwischen war es bereits üblich, dass die Polizisten einen auf der Straße ansprachen, wohin man des Weges sei. Auf Gomera-Seiten im Netz las ich von dort lebenden Deutschen, dass sie sich wahnsinnig über das unsolidarische Verhalten der Touristen aufregen würden, weil diese einfach nicht kapierten, dass man einfach zu Hause bleiben solle. Ohne zu hinterfragen, einfach hinnehmen. Zu diesem Zeitpunkt fand in meinem Kopf, also in meinem Denken bereits ein Wandel statt. Hatte sich zunächst alles dagegen gesträubt, solch in meinen Augen sinnloses hinzunehmen, begann ich zu begreifen. Ich musste nicht jede nicht bis zum Ende durchdachte Handlung verstehen und konnte mich trotzdem an das #QuedateEnCasa (Bleib zu Hause) …gewöhnen? Halten? Respektieren.
Dennoch ärgerte es mich, dass man zwar nur in kleinen Gruppen (zunächst waren es nur zwei Personen, dann wurde die Anzahl für den recht übersichtlichen Supermarkt auf 20 erhöht) ein Geschäft gleichzeitig besiedeln durfte, direkt davor aber dicht an dicht zu 40 – 50 Personen anstand. Doch auch hier kam schnell der Ruf nach Abstandeinhaltung. Beim Betreten des Supermarktes musste man die Hände desinfizieren und sich Plastikhandschuhe überziehen. Eine Maßnahme, die es bis heute bei uns noch nicht gibt.
Ich fand mich also mit der Situation ab, dass ich den Rest meiner Zeit dort in Hausarrest verbringen müsse. „Rest der Zeit“ – womit hatte ich denn zu rechnen? Ich telefonierte mit dem Auswärtigen Amt und man riet mir, mich umgehend um einen Rückflug zu kümmern. Dies war bereits zu diesem Zeitpunkt kein leichtes Unterfangen. Viele Flüge ersatzlos gestrichen, ich hatte die Wahl zwischen einem Gabelflug über Madrid (auf gar keinen Fall!!!) oder Dublin (nein, St. Patrick’s Day ohne Pubs? Ohne mich!), beide Angebote preislich im vierstelligen Bereich und jeweils nicht unter einer Reisedauer von 38 Stunden. Ich hakte die Flugsuche an jenem Tag für mich ab, nachdem auch Freunde in Deutschland inzwischen mitsuchten – ich hatte nur mein Handy ohne Wlan, die Airlines waren telefonisch nicht zu erreichen (Spitzenwartezeit von zwei Stunden, dann flog ich aus der Leitung) und zudem brauchte ich nicht nur den Flug von Teneriffa nach Deutschland (wohin dort war mir inzwischen egal), nein, ich benötigte auch erst einmal ein Fährticket von Gomera zur größeren Schwesterinsel mit internationalem Flughafen. Und hier kam ein weiteres Paradoxon zum Tragen. Denn die beiden diese Strecke bedienenden Fährlinien hatten die Frequenz reduziert und nahmen auch nur noch ein Drittel der Passagier mit. Wie sollte ich es nur mit dem Handy ausgestattet bewerkstelligen, gleichzeitig alles aufeinander abgestimmt zu buchen, um am Ende nicht mit einem nicht zu erreichenden Flug auf der Insel bleiben zu müssen oder nur mit einer Fährverbindung auf Teneriffa, wo es die zweitmeisten Erkrankungen der gesamten Kanaren gibt, zu stranden? Und da war sie: die Liebe zur Solidarität. Viele Freunde halfen mir in Hamburg sitzend, einer ganz besonders. Am nächsten Morgen rief er mich in aller Frühe an und verlangte umgehend nach meiner Ausweisnummer. Er habe einen Flug gefunden, auf dem es aber nur noch einen Platz geben würde. Schlaftrunken gab ich die Pass ID durch und erhielt kurz darauf die mich erleichternde und zu Freudentränen rührende Nachricht, dass alles erledigt sei und ich bald nach Hause kommen würde.
Ich bereitete mich also innerlich auf die letzten Tage auf meiner geliebten (!) Insel vor und verfolgte, welche Verschärfungen es tagtäglich gab. Plötzlich hieß es, dass alle Touristen das Land bis zum 25.03.2020 zu verlassen hätten. Wie dies zu bewerkstelligen sei, wenn weder Fähr- noch Flugticket zu bekommen war, war dabei irrelevant – in meinen Augen war es das ohne das „levant“. Auf die Straße traute man sich inzwischen nicht mal mehr für kleinere heimliche Spaziergänge allein (ja, diese Frei… äh, Frechheit habe ich mir tatsächlich mit zurecht gelegten Zielen – Apotheke, Geldautomat, Busbahnhof) einfach herausgenommen. Denn auch diesen Punkt fand und finde ich kritisch. Nicht hinausgehen zu dürfen macht ganz viel mit einem, zwingt Dich, in einer Situation, die für die eine oder andere wahrscheinlich ohnehin schon schwer auszuhalten ist, Dich eingeengt zu fühlen. Ich lege hier tatsächlich mein Augenmerk auf Personen, die es brauchen auch mal nur um den Block gehen zu dürfen. Nicht außer Acht lassen sollte man aber natürlich auch die Familien, die teilweise zu viert mit zwei oder mehr Kindern kleine Apartments bewohnen, spielt sich das Leben doch üblicherweise draußen ab.
Am Abend vor der Abreise erfuhr ich dann, dass es auch nicht mehr erlaubt sei, zu zweit in einem Auto zu fahren. An dieser Stelle reichte es mir dann. Der Bus nach San Sebastian nahm nur noch die Hälfte der Menschen mit, was in Summe immer noch etwa 25 Personen waren. Diese fuhren dann 1,5 Stunden zusammen über die Insel. Mehr Busse wurden nicht eingesetzt, wer nicht mehr mitkam, hatte halt Pech. Man merkt: nein, das hatte für mich mit Logik gar nichts mehr zu tun und so hielt ich an dem Plan, mit einem ebenfalls abreisenden Bekannten am nächsten Morgen in seinem Mietwagen gemeinsam zur Fähre zu fahren, fest. Man muss hier betonen, dass die Polizisten zwar zur Einhaltung der Regeln patrouillierten, nachfragten wohin man des Weges sei und einen des Platzes verwiesen, aber besonders streng sanktioniert wurde es nicht, obwohl die Möglichkeiten der Bestrafung hier bei 500,- € anfingen und schwindelerregende Höhen annahmen. Kurz zusammengefasst, was sich im Laufe dieser wenigen Tage noch alles veränderte: Umzüge sind während der Ausgangssperre nicht gestattet, was eine Freundin in die Bredouille bringt, da sie durch die Schließung der Restaurants keinen Job mehr hat und ihre Wohnung viel zu teuer ist. Den Hund darf man nur noch sehr kurz, in unmittelbarer Umgebung und nur mit Handschuhen Gassi führen und dass man auch keinen Sport machen durfte, egal welcher Art an der frischen Luft, ist wohl obsolet zu erwähnen. Womit ich mich en Detail beschäftigt habe, kann an anderer Stelle erzählt werden.
Auf Teneriffa angekommen wehte dann ein anderer Wind. Aggressive, auf Englisch fluchende Polizisten, die die Leute anschrien wie man sich zu verhalten habe. Am Flughafen dann die Menschenmassen und dass der Flieger natürlich bis auf den letzten Platz ausgebucht war, muss wohl an dieser Stelle nicht erwähnt werden. Umso überraschter war ich, dass es bei der Einreise keinerlei Fragen gab, woher man käme oder zumindest Fieber gemessen wurde oder ähnliches. Problemlos erlangte ich so also wieder deutschen und hamburgischen Boden unter den Füßen.
Ein Teil meines Herzens ist aber mal wieder dort geblieben. Auf dieser wunderschönen, magischen und für mich paradiesischen Insel. Dass die Anreise dorthin etwas beschwerlicher ist als an andere Orte, habe ich immer als Vorteil gesehen, dass die Abreise es mal in diesem Maße werden würde, hätte ich nie geahnt. Nichtsdestotrotz hoffe ich inständig, dass die vom Tourismus lebenden Gomeros diese harte Zeit irgendwie überstehen. Auch wenn ich sie immer liebevoll Bananeninsel nenne, ist von dem Export selbiger allein leider kein Überleben möglich. Auf jeden Fall hat sie mich auch dieses Mal wieder etwas gelehrt, meine Liebe zu ihr nur gestärkt und ich kann es kaum erwarten, wieder bei ihr zu sein. Auch wenn es jetzt bestimmt erst einmal gut ist, wieder hier zu sein. Bestimmt.
Wieder zu Hause – doch alles ist anders
The Girl is back in town (frei nach Thin Lizzy – den Ohrwurm gab es gratis)
Da bin ich wieder. Zurück in Deutschland, zurück in Hamburg und auf St. Pauli nach knapp drei Wochen an meinem mir liebsten Ort, meinem Happy Place, der Insel Gomera. Wie es sich gehört, habe ich natürlich sofort und umgehend daran gearbeitet, mich augenblicklich zu assimilieren, was dieser Tage offenbar nur mit dem Eindecken von ausreichend Nudeln und Klopapier geht. An dieser Stelle danke ich meinem Vergangenheits-Ich, dass ich jenes tatsächlich bereits vor meinem Urlaub in meine Höhle geschleppt hatte. Die Sammlerin kann man mir also auf gar keinen Fall absprechen.
Aus dem Spanien-Aufenthalt bringe ich übrigens auch hard skills mit: ich weiß, wie man zu Hause bleibt. Auch, wenn man das Meer direkt vor der Tür hat, einen Landschaften ganz besonderer Art hinauslocken und das Wetter ohnehin ununterbrochen meinen Namen ruft. Gerade als Hamburgerin liegt es einem ja im Blut, jeden noch so kleinen Sonnenstrahl ausnutzen zu wollen, nein sogar zu müssen – am Ende bleibt man an einem Sonnentag in der Bude und das war er dann: der Hamburger Sommer! Nix mit „ich war dabei!“ und wir alle wissen, dass das doch inzwischen das wichtigste ist.
Zurück nach Spanien: ich hatte ob der prekärer werdenden Lage in Deutschland gerade beschlossen, meinen Aufenthalt in meinem Paradies zu verlängern, als sich die Situation dort auch ziemlich rasch änderte. Dazu an anderer Stelle gerne ausführlich mehr, im Fazit hieß dies: sofortiger Hausarrest. Aber, aber… ich war doch noch gar nicht fertig mit Spaß haben und Sonne genießen und richtig Body Boarding lernen und meine Lieblingsrestaurants hatte ich auch noch gar nicht alle besucht. Und ist Mama nicht ohnehin die einzige, die mir Hausarrest erteilen darf? Nee, leider nicht. Hausarrest bedeutet übrigens, dass man sich draußen nur mit triftigem Grund bewegen darf. Arzt- oder Apothekenbesuch, Lebensmittel einkaufen, in die Heimat reisen.
Seit gestern Abend bin ich wieder zurück in der Heimat. Es war ein beklemmendes Gefühl, am Abend gegen 22 Uhr zurück nach St. Pauli zu kommen und…. Stille. Leere. Nichts. Wenig Menschen, kaum Lichter, vereinzelt Fahrzeuge. Natürlich hatte ich davon auch auf meiner Bananeninsel mitbekommen, aber es zu sehen war schmerzlich. Mein erster Gedanke galt den Gastronomen und Kulturschaffenden. Dies zu überleben, in ein paar Wochen hoffentlich wieder aufmachen zu können, nicht an dieser Pandemie zu Grunde zu gehen.
Den ersten Abend verbrachte ich also brav zu Hause, hätte ich ohnehin, daher war in den eigenen vier Wänden noch keine Veränderung spürbar. Außer vielleicht, dass man extrem früh aufwacht an einem Sonntag, wenn man am Samstagabend kein Wiedersehen mit Freundinnen da draußen gefeiert hat. Heute Morgen fragte ich dann (per elektronischer Nachricht!) die Nachbarn, ob sie auch etwas vom Bäcker bräuchten. Ich weiß nicht, ob die Vorkehrungen die der Kiezbäcker St. Pauli getroffen hat hier schon länger gelten – aus Spanien kenne ich es nur so: nur zwei Personen gleichzeitig im Laden, Absperrung zur Theke, Schilder mir der Bitte Abstand zu wahren. Brötchen für alle habe ich bekommen und dann wieder zurück über den leeren Kiez in meine Höhle getragen und sicher vor Türen abgelegt. So musste nur eine Person nach draußen und nicht mehrere.
Den sonnigen Tag drinnen zu verbringen, fand ich nicht besonders schlimm. Wäsche waschen, Musik hören, meiner Mutter danken, dass sie mir nie beigebracht hat, wie man für eine Person kocht, was eine gut gefüllte Tiefkühltruhe mit sich bringt (nochmal dank an mein Vergangenheits-Ich, dass ich in letzter Zeit so viel eingefroren habe!). Und dann kam mein Lieblingsmoment, mein Highlight des Tages. Der Sonnenuntergang! Verbinde ich diesen auf Gomera zwingend mit den Trommlern am Strand und einer Herz erwärmenden, sehnsüchtigen Stimmung, bedeutet es hier: ich kann laufen gehen! Etwas was mir die letzten Tage verboten war. Was aber so wichtig für mich ist. Sich zu bewegen und sich die kalte Luft um die Nase wehen zu lassen. Zu einer Zeit zu der man sicher sein kann, dass sich nur noch wenige Menschen draußen befinden, so dass man niemanden gefährdet. Das ist ein Privileg, wie ich in der letzten Woche gelernt habe, das nicht zu unterschätzen ist. Derweil hat unsere Bundeskanzlerin bekannt gegeben, dass auch hierzulande nun strengere Auflagen gelten. Die Freiheit spazieren und laufen zu gehen, wurde uns glücklicherweise nicht genommen. Das ist ein hohes Gut und großes Glück!
Zu solchen Zeiten sollte man soziale Netzwerke wahrscheinlich am besten meiden, was mir aber gewiss nicht gelingt. Dennoch begreife ich es nicht, dass weiterhin nach einer resoluteren Ausgangssperre mit harten Sanktionen geschrien wird. Sind die Auflagen für viele immer noch zu dehnbar? Was wurde denn aus „Erziehung zur Mündigkeit“? Mensch, wach doch bitte auf! Besinne Dich!
Ich sitze hier und mache mir Gedanken, trinke Tee, lese, werde früh zu Bett gehen und hoffentlich wieder mehr schreiben. Irgendetwas Gutes muss man der aktuellen Situation ja abgewinnen. Bleibt gesund!
Über die Liebe… zur Kommunalpolitik
Drei Monate ist es nun her, dass ich aus einem ganz fantastischen Urlaub auf meiner Lieblings-Hippie-Insel in bester Gesellschaft zurückgekommen bin; hochmotiviert, voller Tatendrang diesen Blog wieder aufleben zu lassen und nur so vor Energie sprühend, gefüllt mit Ideen, im Strudel der Kreativität. Und dann überschlugen sich die Ereignisse.
Doch der Reihe nach. Kurz nach meiner Rückkehr in heimische Gefilde hatte ich endlich die Gelegenheit, für meine Fraktion einen Antrag in den Hauptausschuss der Bezirksversammlung einzubringen, dessen Inhalt mir tatsächlich schon seit Jahren unter den Nägeln brannte. Darin geht es um die Prüfung einer Sanierung oder vielmehr Instandsetzung des westlichen Teils der Reeperbahn. Wer die Strecke zwischen Millerntorplatz bis zur Hein-Hoyer-Straße kennt, weiß, dass der dann noch kommende Abschnitt bis zum Nobistor sich von diesem komplett abhebt. Denn auf letzterem kann man an einigen Stellen mit Kinderwagen oder Rollstuhl ob fehlender Breite kaum passieren, die Gehwegplatten stehen an diversen Stellen hoch, Fahrradleichen versperren Ständer, die man gerne nutzen würde und so weiter und so fort. In meinen Augen ein schlüssiger Schritt: die Verwaltung prüfen zu lassen, wie man hier verbessern und ertüchtigen kann. Haben ja alle Anwohnerinnen etwas von – so mein Gedanke dahinter, mich für den Antrag stark zu machen.
Was dann folgte? Neudeutsch: Shitstorm. Ich wolle das Viertel gentrifizieren. Solle doch lieber nach Eppendorf ziehen (but why?! Bestimmt auch ein netter Stadtteil, aber echt nicht meiner!) Auch schön: „Die Schnalle mit der St. Pauli-Schnalle“ (Gürtel), die ich übrigens immer zu Hosen trage, nicht nur an Spieltagen, nicht nur für Fotos, sondern auch bei parlamentarischen Sitzungen, Empfängen, Geburtstagen, Hochzeiten – ach, nee, bei letzterem Anlass eher selten in Hosen anzutreffen. Die Beleidigungen mal außen vor lassend, war es für mich tatsächlich eine neue Erfahrung. In Wahrheit eine, die ich gerne nicht gemacht hätte.
Aber es gab auch die andere Seite. FreundInnen und NachbarInnen, die mich anschrieben, ich solle das bloß nicht an mich ranlassen, man wisse, wer ich sei und verteidige mich vor Stänkern. Ein schönes Gefühl diese Unterstützung zu erfahren. Nicht, dass mich ein paar Hasskommentare aus der Bahn werfen oder abhalten würden. Dafür macht mir die Kommunalpolitik viel zu viel Spaß.
„Spaß“? Ja, genau das. Wenn FreundInnen mich fragen, was ich am Abend nach der Arbeit noch mache, ob ich Zeit hätte gemeinsam etwas zu unternehmen, lautet meine Antwort nicht selten „Leider keine Zeit. Ausschusssitzung.“ Oft bekomme ich dann ein „Viel Spaß!“ zu hören. Darüber musste ich in der Vergangenheit häufig schmunzeln. Und deswegen begann ich es zu hinterfragen. Wie kommen meine FreundInnen dazu, mir viel Spaß zu wünschen, wenn ich des Abends noch im Bau-, City- oder Stadtentwicklungsausschuss tage oder einer Beiratssitzung beiwohne, statt mich mit ihnen zu treffen um ins Kino, Theater oder essen zu gehen? Wahrscheinlich weil sie mich manches Mal besser kennen als ich annehme. Ja, solche Sitzungen gehen gerne mal bis tief in den Abend und mein Bett und ich führen im Grunde genommen eine Fernbeziehung und sehen uns unter der Woche immer nur für ein paar Stunden. Aber ernsthaft: das was ich dort im Bezirksamt tagend tue, ist genau das, was ich so mag! Ich finde es spannend zu erfahren und maßgeblich mitentscheiden zu können, was in unseren Vierteln so passiert. Darauf zu achten, dass Strukturen erhalten bleiben, ohne Neues komplett verhindern zu wollen. Den Wohnungsbau – wohlgemerkt bezahlbaren Wohnraum – weiterhin im Fokus zu behalten und Bauherren nicht vollkommen frei drehen zu lassen, auch wenn ein Hotelbau für diese durchaus lukrativer ist. Ich mag es im Quartiersbeirat zu hören, was AnwohnerInnen für Wünsche haben, dass sich Gedanken gemacht werden, z.B. um die (Um-)benennung einer Straße. Dass sich darüber ausgetauscht, diskutiert, geeinigt wird. KeineR sitzt dort, weil man muss oder Geld dafür bekommt, sondern weil man für eine Sache brennt, weil man Lust hat auf Mitgestaltung, auf Mitentscheidung! Wie geil ist das denn?
Insofern haben meine Leute nur allzu Recht, wenn sie mir „viel Spaß!“ vor solchen Abenden wünschen. Ja, es macht mir Spaß. Auch, wenn dadurch so manch Privates auf der Strecke bleibt, bin ich weiterhin mit Leidenschaft dabei und engagiere mich für Hamburg-Mitte.
Eingangs schrieb ich es schon: dieser Blog sollte wieder richtig belebt und regelmäßig befeuert werden. Doch dann kam erst einmal eine etwas stressige Zeit. Weniger wegen des Hobbys, sondern mehr des Berufes wegen. Mein Kreis, die SPD Hamburg-Mitte hatte sich auf die Fahnen geschrieben, alle Kandidatinnen und Kandidaten für die Bezirksversammlungswahl am 26. Mai 2019 noch in diesem Jahr aufzustellen; auch um zu zeigen, wie wichtig eine gute Kommunalpolitik ist. Ich selbst kandidiere ebenfalls erneut – aus oben beschriebenen Gründen. Im meinem Wahlkreis 1 Altstadt, Neustadt, St. Pauli, HafenCity auf Platz 2 und auf der Bezirksliste und somit in ganz Hamburg-Mitte wählbar ebenfalls auf Platz 2. Über die Aufstellungen habe ich mich natürlich maßlos gefreut, hoffe ich doch, dass diese Liebe so noch ein wenig länger ausgelebt werden kann.
Jetzt kommen aber erst einmal ein paar ruhige Feiertage, in denen ich tatsächlich etwas Besinnlichkeit lebe, durchatme und dann wieder frisch ins neue Jahr starte. 2019 beginnt also mit Wahlkampf und ob Ihr es glaubt oder nicht: auch darauf habe ich richtig Bock! Jetzt aber: frohe Weihnachten und guten Rutsch in ein fantastisches 2019!
(Das Beitragsfoto ist übrigens von einer lieben Freundin aus Spanien zur Verfügung gestellt, die trotz der uns trennenden Kilometer immer hier ist! Silke )
Quiddje? Denkste! Schau‘ mal hier!
Seit Monaten schaue ich von einem meiner Lieblingsplätze nach Feierabend – bei gutem Wetter gibt es kaum einen besseren Ort als den blauen Bar-Container von John und seiner Crew auf dem Spielbudenplatz – auf einen weiteren, gegenüberliegenden Kasten und fragte mich, was es mit diesem auf sich haben könnte. Dank der Teilnahme an der Beiratssitzung des Spielbudenplatzes am vergangenen Montag, muss ich nun nicht mehr rätseln, sondern wurde aufgeklärt.
„QUIDDJE“ prangt über dem Container, der im Stil an die anderen auf dem Platz angelehnt ist, aber nicht leuchtend bunt, sondern dezent in schwarz daherkommt. Hm, „Quiddje“ also. Jeder Hamburgerin und jedem Hamburger ist dies natürlich ein Begriff, das sind die Zugezogenen, die, die nicht aus der Stadt sind. Die Typographie des „Q“ selbst ist in einem Stil, der mich an eine Automobilmarke mit sehr kleinen Fahrzeugen erinnert, kein Wunder also, dass ich dem Ganzen bisher nicht wirklich viel Bedeutung beigemessen habe, konnte es sich doch nur um etwas Saisonales für BesucherInnen unserer Stadt handeln, vielleicht ein Aktionscontainer oder Ähnliches.
Doch weit gefehlt! Meines Erachtens nach, haben wir hier so etwas Wertvolles in der Mitte unseres Dorfplatzes, dass ich Euch davon berichten möchte. New York hat am Broadway gleich mehrere. London ebenfalls. Ha! Und wir jetzt auch. Denn beim Quiddje-Container handelt es sich um einen Last-Minute-Ticket-Verkauf für Theater, Musicals und Konzerte. (Ok, zugegeben, der Untertitel „Hamburg Last Minute“ hätte einen Hinweis geben können, löste bei mir jedoch nur weitere Assoziationen zu Stadtführungen oder Ähnlichem aus) Hier kann nicht nur auf die Restkontingente der Häuser, die auf St. Pauli beheimatet sind, zugegriffen werden, nein, mit dabei sind Kulturstätten und Theater der gesamten Stadt (Theaterschiff, Winterhuder Fährhaus, English Theatre uvm.).
Als ich mich gestern spontan bei den Jungs und Mädels dort über das Konzept informierte, hätte ich direkt ein Ticket für eine der letzten Vorstellungen des laufenden und am Sonntag scheidenden Musicalstückes im Operettenhaus bekommen können und zwar zu 50% des Originalpreises. Zugegeben: am gestrigen Abend war mir das nun etwas zu spontan, aber generell möchte ich diese Möglichkeit doch jeder und jedem ans Herz legen.
Warum ich das mache? Ich habe mir mal die Facebookseite von Quiddje angeschaut und dort tummeln sich bisher erst knapp 400 Interessierte (Stand 27.09.2018) darunter aus meinem Bekanntenkreis gerade mal fünf. Scheinbar bin ich also nicht allein mit meiner Unkenntnis über dieses, in meinen Augen, großartige Angebot! Und da sich die Freiluftsaison auf dem Spielbudenplatz nun ohnehin rasant dem Ende neigt, lasst uns doch einfach alle mehr den Kulturbereich fördern. Der Container wird dort weiterhin aufgestellt bleiben. Schaut mal vorbei und sagt es BesucherInnen unserer Stadt, auf dass die Theater- und Veranstaltungssäle Hamburgs gut gefüllt sind und weiterhin ihre wertvolle Arbeit machen können.
____________________________
Quiddje-Container
Last Minute Tickets für Hamburg
Spielbudenplatz/ vor dem Klubhaus
Öffnungszeiten täglich 10-20 Uhr
Da ist sie wieder!
Alles neu macht der Mai, na gut, manchmal eben auch der September. Wer sich in den letzten Tagen, Wochen, Monaten, ok, ok, es sind bereits Jahre, auf diese Seite verlaufen hat, dem wird nicht entgangen sein, dass sich hier seit geraumer Zeit wenig verändert hat. Ins Leben gerufen habe ich sie damals, als ich in einer Internetagentur arbeitete und am eigenen Beispiel lernen sollte oder vielmehr durfte, wie so eine Seite programmiert wird (das war die Homepgae 1.0, wenn Du diese nie gesehen hast, kann ich Dich dazu nur beglückwünschen, Du hast nichts, aber auch gar nichts verpasst). Mit einem WordPress Template geht das alles natürlich wesentlich komfortabler und eine zeitlang hatte ich auch Spaß daran, aber zugegeben, bloggen war mir einfach nicht so wirklich in Fleisch und Blut übergegangen und so lag die Seite lange Zeit brach.
Wie komme ich nun dazu sie jetzt wiederzubeleben? Tatsächlich bemerkte ich bei meinem letzten Urlaub – er ging nach La Gomera, aber dazu später mehr – wie sehr es mir fehlt zu schreiben. In diesem Urlaub führten wir zu zweit ein Reisetagebuch, um uns in der kalten Jahreszeit an die schönen, warmen Stunden im Süden erinnern zu können. Es ist eines aus Papier, in das wir täglich unsere Erlebnisse hineinschrieben. Auf der Reise lernten wir zwei ganz fantastische Menschen kennen und da Sabine auch einen Blog hat, erinnerte ich mich wieder an meine Seite und sagte mir, hey, warum belebst Du die eigentlich nicht wieder?
Natürlich bewege ich mich auch in den sozialen Netzwerken wie Facebook und Instagram. Auch Snapchat war einige Jahre eine Art visuelles Tagebuch für mich, wird aber inzwischen nicht mehr genutzt, da es einfach zu zeitintensiv ist. Bei Instagram fehlen mir die (längeren) Texte zu den Fotos, die ich dort allerdings sehr gerne poste. So lag die Lösung klar auf der Hand: ich hole die alte Dame (immerhin gibt es diese Seite seit sage und schreibe acht Jahren) aus der Versenkung und bespiele sie wieder ein wenig.
In der Beschreibung zu mir bekommt man bereits einen Eindruck, um welche Inhalte es hier gehen könnte. Letztendlich will ich mich da aber auch gar nicht so festlegen, denn ich glaube, dass genau das mich damals gehemmt hat, hier zu schreiben. Es wird bestimmt um Politik gehen, um Urlaube und das Reisen an sich, gewiss auch ums Essen, denn auch das ist eine meiner großen Leidenschaften. Vielleicht auch ein wenig Sport (mit Laufen, Yoga und Kraftsport versuche ich den Ausgleich zur sitzenden Tätigkeit zu finden), ganz bestimmt um Literatur und Kultur und um meinen geliebten Strebergarten, ja, ich bin Laubenpieperin. Und begleitet werden die Themen hier mit Sicherheit von Fotos. Denn davon mache ich im Alltag reichlich, warum also nicht teilen. Sharing is caring, oder?
St. Pauli pinkelt zurück!
Immer wieder muss man sich als Bewohner_In unseres schönen Stadtteils anhören, dass man es doch so gewollt habe, als man herzog. Dass St. Pauli eben Halligalli und laut und dreckig sei. Moment. Halligalli? Ja, klar. Hier wird eben viel gefeiert und das ist auch gut so. Man kann mitmachen, muss es aber nicht. Das ist gewollt, das ist toll, das lieben wir. Laut? Auch das ist bedingt so. Neben einen Live-Music-Club zu ziehen und sich dann über Konzerte zu beschweren; das würde wohl kaum jemanden einfallen. Auch dass unsere Theater, Bars, Kneipen und Diskotheken gut besucht sind und Menschen Freudenschreie entlocken, bringt St. Pauli mit sich – korrekt.
Aber dreckig? Woher kommt denn der Dreck? Gibt man am Beginn der Reeperbahn seine Manieren ab und benimmt sich wie die Axt im Walde? Und beinhaltet dies dann auch, jeden Fleck unseres Stadtteils als öffentliches WC benutzen zu dürfen? Nein. Wer käme denn auf die Idee, an einem Sonntagnachmittag durch Eppendorf zu schlendern und seine Notdurft einfach mal so vor einem der Cafés zu verrichten? Oder sich gar in den Hauseingang eines Kinderladens in Winterhude zu hocken, um dem Drang der Entleerung der Harnblase nachzukommen?
Auf St. Pauli ist es nicht anders: Wir leben hier. Wir mögen auch nicht gerne über Pippipfützen zu unseren Rädern springen, um zur Arbeit zu fahren. Wir hätten gerne den Duft frischer Brötchen in der Nase, wenn wir zum Kiezbäcker gehen und nicht den beißenden Uringestank. Bitte, liebe Besucher: Benutzt doch die öffentlichen Toiletten oder fragt in einer der Kneipen, Bars, Theater, Museen oder Imbisse nach – davon haben wir hier nämlich jede Menge.
Denn wer sich nicht daran hält, dem sei gesagt: ab jetzt wird zurückgepinkelt!
Presseberichte zur Seilbahn auf St. Pauli
Einige Monate ist es nun her, dass der Bürgerentscheid für eine Seilbahn negativ (für uns Gegner positiv) ausging. Am 24. August 2014 stimmten die Bürgerinnen und Bürger von Hamburg-Mitte darüber ab, ob eine Seilbahn von der Glacischaussee rüber zu den Musical-Zelten auf Steinwerder gebaut werden soll. Mit ganz viel Engagement von Anwohnerinnen und Anwohnern ist es gelungen, die Stimmberechtigten darüber aufzuklären, was hier eigentlich versucht wurde: Ein Konzernbegehren durch Missbrauch eines demokratischen Mitbestimmungsinstrumentes, dem Bürgerentscheid, durchzusetzen.
Entgegen der Meinung böser Zungen, die sich am liebsten anonym in irgendwelchen Kommentaren zu Wort melden, bestand die Gruppe der Seilbahn-Gegner aus einer kunterbunten Mischung. Engagierte Anwohnerinnen und Anwohner und ja, auch politische Gruppen zeigten klar, dass sie gegen die Seilbahn an dieser Stelle waren/ sind. Doch um es klar zustellen: Wir hatten kein großes Budget oder gar eine Agentur im Rücken, um über diese Seilbahn aufzuklären. Unsere ersten Flyer entstanden an heimischen Computern, wurden am hauseigenen Drucker vervielfältigt und per Hand geschnitten und verteilt. Wir stellten eine Podiumsdiskussion mit dem Bezirksamtsleiter auf die Beine, suchten das Gespräch mit allen Abstimmungsberechtigten zwischen St. Pauli und Billstedt und bis nach Wilhelmsburg. Und das alles, weil wir der festen Überzeugung sind, dass diese Seilbahn in dieser Form nicht sein darf. Umso größer ist die bis heute anhaltende Freude darüber, dass dieses von uns als Musical-Seilbahn titulierte Fahrgeschäft nicht gebaut wird.
Wie man weiß, ist nichts so alt wie die Zeitung von gestern. Damit die Berichte, die irgendwann nicht mehr online einzusehen sein werden, nicht verloren gehen, kommt hier eine nicht vollständige Sammlung über die Berichterstattung:
09. Februar 2014, Hamburger Abendblatt:
Befürworter und Gegner ringen um Seilbahn-Projekt
Mit der Seilbahn über die Elbe – Befürworter und Gegner des Projekts gehen verstärkt in die Offensive und sammelten am Wochenende fleißig Unterschriften.
Hamburg. Der Vorschlag erhitzt weiterhin die Gemüter: Gegner und Befürworter der geplanten Seilbahn, die von der Glacischaussee über die Elbe zu den Musicaltheatern auf Steinwerder führen soll, gehen verstärkt in die Offensive.
Die Bürgerinitiative „Hamburger Seilbahn – Ich bin dafür“ hat nach eigenen Angaben bereits mehr als 4000 Unterschriften gesammelt. Für das von der Initiative geforderte Bürgerbegehren werden bis Ende März rund 6000 Unterschriften benötigt. Auch am Wochenende warb Joachim Stratenschulte, geschäftsführender Vorstand der Stiftung Rickmer Rickmers, auf St. Pauli für das Vorhaben.
Doch auch die Gegner des Projekts machen nun verstärkt Mobil. So sammelten am Wochenende Mitglieder der SPD St.Pauli Süd Unterschriften gegen die geplante Seilbahn. „Wir wollen rund 1000 Unterschriften sammeln, um damit ein Zeichen zu setzen“, sagte Sabrina Hirche , SPD-Kandidatin für Bezirksversammlung. „Eine solche Seilbahn passt nicht nach St. Pauli, weil sie lediglich eine Touristenattraktion und kein öffentliches Verkehrsmittel ist.“
Anwohner befürchten demnach, dass die Veränderung St. Paulis zugunsten des Tourismus noch weiter zunehmen und das Hafenpanorama grundlegend verändert werde. „Die Menschen auf St. Pauli, die bereits Events wie Schlagermove, Hafengeburtstag oder Eurovisionsongcontest gastfreundlich beherbergen, wollen dieses Projekt nicht“, sagte Hirche. „Irgendwann ist auch mal gut.“
Auch die Bezirksversammlung Mitte steht dem geplanten Seilbahn-Vorhaben ablehnend gegenüber. Befürwortet wird der von Tourismusverband und Stage Entertainment geschmiedete Plan von der Handelskammer, der Interessengemeinschaft St. Pauli, der Jungen Union und weiteren Unterstützern des Bürgerbegehrens.
Die 1450 Meter lange Seilbahn soll in mindestens 80 Meter Höhe über die Elbe führen. Die Kosten von 40 Millionen Euro tragen das Musicalunternehmen Stage und der Seilbahnhersteller Doppelmayr – ebenso wie den Rückbau des zunächst auf zehn Jahre angelegten Projekts.
20. Juni 2014, ndr.de:
Bürgerentscheid über Seilbahn im August
In der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte hat am Donnerstagabend eine deutliche Mehrheit von SPD, Grünen, Linken und Piraten das Bürgerbegehren für eine Seilbahn im Stadtteil St. Pauli abgelehnt. Damit kommt es am 24. August im Bezirk zu einem Bürgerentscheid für oder gegen eine Seilbahn über die Elbe, wie NDR 90,3 berichtete. Dabei entscheidet dann unabhängig von der Wahlbeteiligung die Mehrheit.
Die Fronten und Mehrheitsverhältnisse waren dem Bericht zufolge schon vor der Abstimmung klar. Die CDU und die neu im Bezirksparlament vertretene AfD sind für die Seilbahn – die große Mehrheit mit 36 von 51 Stimmen dagegen. Die Einwände der Gegner: Die Seilbahn nütze nur dem Musicalbetreiber sowie dem Seilbahnhersteller und überlaste die jetzt schon stark beanspruchten Anwohner in den angrenzenden Vierteln. Zudem unterstellten die Grünen, Linken und Piraten der Initiative „Hamburger Seilbahn – Ich bin dafür!“ im Auftrag der Investoren zu handeln.
Diese Behauptung wies der Sprecher der Initiative, Thomas Margold, vor den Bezirksparlamentariern zurück. Er und seine Mitstreiter seien unabhängig und persönlich davon überzeugt, dass die Seilbahn Hamburg nütze. Jetzt können sich die Bürger im Bezirk Mitte im August für oder gegen die Seilbahn entscheiden.
Seit Jahren kontroverse Diskussionen
Die Pläne für eine Seilbahn-Verbindung über die Elbe gibt es schon seit 2011. Doch ebenso lange dauern auch schon die kontroversen Diskussionen. Der Startpunkt soll an der Glacischaussee sein. Ziel ist das „König der Löwen“-Musicalzelt und das benachbarte neue Theater, in dem von November an „Das Wunder von Bern“ gezeigt wird. Das Musicalunternehmen Stage Entertainment und Seilbahnbauer Doppelmayr wollen den Bau finanzieren und die Bahn auch betreiben. Der Bau der Seilbahn soll etwa 35 Millionen Euro kosten.
05. August 2014, Hamburger Abendblatt:
Werbung für Seilbahn mit falschem Versprechen?
In Wilhelmsburg heißt es auf Plakaten „Künftig schweben wir zum Dom“. Gondeln sind aber nur zwischen St. Pauli und Steinwerder geplant. Die SPD startet eine Aktion gegen das Projekt.
St. Pauli/Wilhelmsburg. Sollen die Bewohner von Hamburg-Mitte mit falschen Versprechungen dazu gebracht werden, beim Bürgerentscheid am 24. August für eine Seilbahn über die Elbe zu stimmen? In Wilhelmsburg sind Plakate aufgestellt worden, die eine solche Vermutung nahelegen. Über dem Bild einer Familie mit Migrationshintergrund prangt der Slogan: „Künftig schweben wir zum Dom“.
Das ärgert Anja Keuchel (SPD): „Die Initiative will die Wilhelmsburger ganz offensichtlich für dumm verkaufen“, sagt die Politikerin von der Elbinsel. „Die Seilbahn würde von Steinwerder abfahren. Das liegt vom Reiherstiegviertel aber drei Kilometer entfernt.“ Neben der versprochenen Zehn-Millionen-Spende und dem Verteilen von Seilbahn-Freikarten (wir berichteten) sei der Slogan eine weitere unlautere Methode, die Menschen im Bezirk zu beeinflussen. Auch Michael Osterburg, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bezirk Hamburg-Mitte, kritisiert das Vorgehen der Initiative: „Ein Bürgerbegehren ist immer eine sportliche Sache“, sagt er. „Wer die besseren Argumente hat, der überzeugt.“ Die Seilbahnbefürworter versuchten jedoch, die Menschen „mit Bestechung und falschen Versprechungen auf ihre Seite zu ziehen“. „Die Seilbahn ist kein Verkehrsmittel, sondern eine touristische Attraktion“, so Osterburg. „Die Bürger werden nicht ernst genommen, sondern veräppelt.“
Wolfgang Raike, der die Seilbahn-Pressearbeit macht, gibt zu: „Natürlich können die Wilhelmsburger nicht direkt zum Dom schweben.“ Aber sie könnten ja mit dem Bus nach Steinwerder fahren oder ihre Autos auf dem Parkplatz des Musicalkonzerns Stage Entertainment abstellen und dann in die Seilbahn steigen. Noch aber liege die Bushaltestelle knapp einen Kilometer von der geplanten Seilbahnstation entfernt, räumt er ein. Der HVV müsse also erst einmal nachbessern. Dennoch kann Raike die Aufregung nicht verstehen. „Kommunikation ist in der Werbung immer verkürzt.“ In ganz Hamburg-Mitte ständen Plakate mit verschiedenen Aussagen: „Ich will Hamburg von oben sehen“, heißt es da, „Wir fahren zum Festival“ oder „Unsere Radtour beginnt mit der Seilbahn“.
Wenn es nach den Initiatoren ginge, könnte die Seilbahn langfristig auch bis nach Wilhelmsburg verlängert werden, sagt Raike. Auch das stößt bei Anja Keuchel auf Kritik. „Den Menschen hier zu suggerieren, die Seilbahn sei ein neues Verkehrsmittel für sie, ist unlauter“, so Keuchel. „Sie würde über Hafengebiet führen, was verboten ist.“
Hintergrund für das Bestreben, eine Seilbahn zu bauen, sei vielmehr, dass das Musicalunternehmen Stage Entertainment ein eigenes Verkehrsmittel haben wolle. „Das Geld, das sie der Hadag zahlen müssen, weil die das Musicaltheater mit dem Schiff anfährt, wollen sie selber verdienen.“ Durch die Seilbahn und den Wegfall der Fahrgäste würde das städtische Unternehmen geschwächt – die Wilhelmsburger aber seien wegen der Fähranbindung ihres Stadtteils an einer starken Hadag interessiert. Unterdessen startet die SPD- Bezirksfraktion in Mitte eine eigene Kampagne unter dem Motto „Ein großes NEIN zur Seilbahn“: Auftakt ist an diesem Mittwoch um 18 Uhr auf dem Spielbudenplatz. Dort wollen dann Bezirksabgeordnete und Sabrina Hirche, Initiatorin der Initiative „Keine Seilbahn von St. Pauli über die Elbe“, die Aktion vorstellen.
Bis zur endgültigen Entscheidung am 24. August, wollen die Gegner an Infoständen im Bezirk Mitte für ihr Anliegen werben. Außerdem sollen Plakate aufgestellt und Flyer verteilt werden. Die Kosten für die Kampagne liegen laut SPD-Fraktionschef Falko Droßmann bei rund 2000 Euro und werden aus Fraktionsmitteln finanziert: „Wir haben uns zu dieser Kampagne entschlossen, weil wir uns klar gegen die Seilbahn zwischen St. Pauli und Steinwerder aussprechen. Wir benötigen diesen Musicalzubringer nicht.“ Außerdem brauche St. Pauli nicht eine weitere „Pseudoattraktion“, die noch mehr Touristen anlocke, so Droßmann weiter. Am 24. August sind mehr als 200.000 Wahlberechtigte im Bezirk Mitte aufgerufen, über die Seilbahn zu entscheiden.
05. August 2014, shz.de:
Seilbahn-Planer wollen zehn Millionen Euro spenden
Zehn Millionen Euro für den Hamburger Stadtteil St. Pauli: Wollen die Investoren des Projekts über der Elbe die Stimmen der Hamburger Bürger kaufen?
Hamburg | Die einen sehen ein „unmoralisches Angebot“. Die anderen loben das soziale Engagement zum Wohle St. Paulis: Stage Entertainment und der österreichische Hersteller Doppelmayr haben dem Stadtteil eine Spende von bis zu zehn Millionen Euro versprochen, sollten sie ihre geplante Seilbahn über die Elbe bauen dürfen. Die Bürger im Bezirk Mitte entscheiden bis zum 25. August per direkter Demokratie darüber, ob es die Gondelverbindung von St. Pauli zu den Musicaltheatern auf Steinwerder geben wird.
Zeitgleich mit der Versendung der Abstimmungsunterlagen an etwa 200.000 Wahlbürger haben der Musicalkonzern Stage und Doppelmayr zugesagt, nicht nur die Baukosten von 35 Millionen Euro zu tragen, sondern auch 50 Cent pro Fahrgast für gemeinnützige Zwecke an den Bezirk zu überweisen. Für die geplante Betriebsdauer von zehn Jahren kommen die Seilbahn-Bauer auf eine Summe von rund zehn Millionen Euro. Der Betrag sei als Ausgleich für die Nutzung des öffentlichen Raumes durch das umstrittene Verkehrsmittel gedacht, so die spendablen Investoren. Der Bezirk Mitte weist das Angebot entschieden zurück. Eine Sprecherin sagte, die Annahme des Geldes würde gegen die „Rahmenrichtlinie über Sponsoring, Spenden und mäzenatische Schenkungen für die Verwaltung der Freien und Hansestadt Hamburg“ verstoßen. Bezirksamtschef Andy Grote (SPD), prominentester politischer Gegner der Seilbahn: „Das Vertrauen in die Unabhängigkeit von Verwaltungshandeln ist ein hohes Gut. Es darf nicht der geringste Anschein entstehen, dass man in Hamburg durch ausreichend hohe Spenden Verwaltungsentscheidungen zu seinen Gunsten herbeiführen kann.“
Dennoch lässt Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) die Millionenspende von seinen Juristen noch prüfen. Aus seiner Behörde heißt es, die Experten sähen bisher keinerlei Hinweise auf einen Bestechungsversuch. Das endgültige Ergebnis der Prüfung will Tschentscher jedoch erst heute vorlegen.
Die Seilbahn-Befürworter wehren sich gegen den Vorwurf, sich ein positives Bürgervotum erkaufen zu wollen. Doppelmayr-Sprecher Ekkehard Assmann: „Der Vorschlag steht in keiner Weise in einem zeitlichen oder inhaltlichen Zusammenhang mit dem Bürgerentscheid.“ Stage Entertainment und Doppelmayr hätten das Spendenangebot bereits 2011 unterbreitet, als sie erstmals Pläne für eine Elbe-Bahn vorgelegt haben. Bei diesem Angebot bleibe es. Nun müsse der Bezirk entscheiden, ob er die Spende annehme oder nicht.
Der Ausgang des Bürgerentscheids gilt als offen. In Umfragen hatte es zuletzt eine knappe Mehrheit zugunsten der Seilbahn gegeben. Die Befürworter hoffen auf eine zusätzliche Touristenattraktion sowie auf ein alternatives Verkehrsmittel und verweisen auf die komplett private Finanzierung. Die Projektgegner befürchten eine Überlastung des bereits unter Besuchermassen ächzenden St. Pauli, Stadtplaner eine Verschandelung der Silhouette am Elbufer. Der SPD-Senat hatte die Entscheidung dem Bezirk überlassen, in dessen politischen Gremien sich keine Mehrheit für die Seilbahn gefunden hatte. Hinter der Pro-Bürgerinitiative stehen unter anderem die CDU-Bundestagsabgeordnete Herlind Gundelach und der ehemalige Chef des Hamburger Tourismusverbandes, Thomas Magold. Auch die einflussreiche Handelskammer rührt die Werbetrommel für die Gondelstrecke.
11. August 2014, Hamburger Abendblatt:
Seilbahn über die Elbe – Fluch oder Segen für Hamburg?
Vor dem Bürgerentscheid am 24. August: Das Abendblatt lud Sabrina Hirche, Gegnerin des Projekts, und Bundestagsabgeordnete Herlind Gundelach zum Streitgespräch an die Landungsbrücken.
St. Pauli. Nur noch 13 Tage, dann entscheiden die Bewohner des Bezirks Mitte über die umstrittene Seilbahn zwischen St. Pauli und den Musicaltheatern auf Steinwerder. Das Angebot des Seilbahnbauers Doppelmayr, mindestens zehn Millionen Euro für soziale Einrichtungen im Bezirk zu spenden, hat die Diskussion weiter angeheizt. Für den Bau kämpft die Bundestagsabgeordnete Herlind Gundelach (CDU) von der Initiative „Hamburger Seilbahn – Ich bin dafür“. Die Angestellte Sabrina Hirche, Initiatorin der Initiative „Keine Seilbahn von St. Pauli über die Elbe“ will sie verhindern. Das Abendblatt lud beide zum Streitgespräch.
Hamburger Abendblatt: Die Investoren Doppelmayr und Stage Entertainment haben mit ihrer Ankündigung, einen Teil der Fahrgeldeinnahmen für den guten Zweck zur Verfügung zu stellen, für viel Diskussionsstoff gesorgt. Ist das ein unmoralisches Angebot?
Herlind Gundelach: Nein. Ich halte das für völlig unproblematisch, weil die Firma Doppelmayr bereits seit 2011 angekündigt hat, einen Teil der Einnahmen für soziale und kulturelle Zwecke im Bezirk Mitte zur Verfügung zu stellen. Sehen Sie es als eine Art Taxe an, die für jede Fahrt entrichtet wird.
Sabrina Hirche: Ich sehe den Zeitpunkt der Ankündigung dieser Zehn-Millionen-Spende schon als problematisch an. Dass dies durch mediale Berichterstattung zeitgleich mit der Versendung der Wahlunterlagen bekannt wurde, hat den Beigeschmack, dass es sich um Stimmenkauf handelt. Meiner Meinung nach wird hier versucht, auf die Entscheidung der Menschen einzuwirken, und das finde ich nicht redlich.
Gundelach: Dass Firmen, die ein großes Projekt umsetzen wollen, auch etwas für einen guten Zweck an die Bürger geben, ist gang und gäbe. Und dass das Geld nur fließen kann, wenn die Seilbahn gebaut wird, ist doch nur logisch, da es an den Verkauf der Tickets gebunden ist. Ich sehe daher auch keine Beeinflussung der Menschen im Bezirk.
St. Pauli sei kein Disneyland, sagen die Gegner der Seilbahn. Welche negativen Auswirkungen befürchten Sie, wenn das Projekt umgesetzt wird?
Hirche: Den St. Paulianern wird schon ziemlich viel zugemutet. Auf dem Kiez findet bereits ein Großteil der Großveranstaltungen in Hamburg statt. Mit der Seilbahn käme ein Dauer-Event hinzu und zwar an eine Stelle, die ohnehin verkehrstechnisch schon stark belastet ist. Die Einstiegshaltestelle ist an der Glacischaussee geplant, die bereits an mehreren Tagen während des Doms gesperrt und als Parkplatz genutzt wird, weil die Besucher eben nicht mit Bus und Bahn anreisen. Ich denke, dass auch die Seilbahnnutzer mit dem Auto kommen werden und dann an dieser Stelle ein Verkehrsinfarkt droht.
Gundelach: Ich glaube nicht, dass mehr Touristen nur wegen einer Seilbahn nach Hamburg kommen und deshalb ist das keine zusätzliche Belastung für den Stadtteil. Auch ein Verkehrsinfarkt ist nicht zu befürchten. Untersuchungen zeigen, dass der Autoverkehr in den Innenstädten eher abgenommen hat. Ich denke, die meisten Seilbahnnutzer werden mit Bus und Bahn anreisen.
Hirche: Da stimme ich Ihnen zu, ich glaube auch nicht, dass Touristen nur wegen der Seilbahn nach Hamburg kommen werden. Aber die zusätzlichen 1800 Besucher, die durch das zweite Musicaltheater (Anm. d. Red.: Eröffnung im November) auf Steinwerder Abend für Abend angezogen werden, müssen ebenfalls befördert werden. Für eben diese insgesamt knapp 4000 Musicalbesucher soll die Seilbahn doch hauptsächlich gebaut werden.
Gundelach: Aber das ist doch kein Argument, um gegen die Seilbahn zu sein. Dann hätten Sie das zweite Musicaltheater verhindern müssen. Richtig ist, die zusätzlichen Musicalbesucher sind ab Herbst da und werden über die Elbe transportiert werden müssen, und viele gehen vermutlich vorher oder nachher auch auf den Kiez, mit oder ohne Seilbahn.
Hirche: Die Leute könnten doch weiter mit den Hadag-Fähren über die Elbe transportiert werden. Der Hadag entstehen durch die Tatsache, dass Besucher die Seilbahn und nicht mehr die Fähren nutzen, Verluste.
Gundelach: Das stimmt so nicht. Der Hadag entgehen höchstens Mehreinnahmen, weil ein Teil der zusätzlich rund 1800 Besucher mit der Seilbahn fahren wird. Aber ein Großteil wird immer noch mit der Fähre übersetzen oder nur für eine Richtung die Seilbahn nehmen.
Was ist eigentlich der Sinn der Seilbahn?
Gundelach: Im ersten Schritt ist sie im wesentlichen ein Musicalzubringer, weil hier Endstation ist. Aber auch Touristen und die Hamburger werden die Seilbahn nutzen, um den Blick über den Hafen zu genießen. Doch die Grundidee war ja, dieses Verkehrsmittel bis nach Wilhelmsburg weiterzuführen.
Hirche: Frau Gundelach, wie kommen Sie überhaupt darauf, dass es eine Verlängerung bis nach Wilhelmsburg geben wird? Dieses Thema ist doch vom Tisch. Denn es ist ganz klar entschieden worden, dass wegen des Hafenentwicklungsgesetzes keine Seilbahn bis Wilhelmsburg weitergeführt werden darf.
Gundelach: Das stimmt so nicht. Schauen Sie sich die beiden Musicaltheater an. Das ist auch keine hafenkonforme Nutzung, und es gab einen großen Aufschrei vor dem Bau. Aber es wurde eine Sondergenehmigung erteilt. Das wäre auch für eine Seilbahn nach Wilhelmsburg möglich, es darf nur der Hafenbetrieb nicht gestört werden. Der Bau bis Steinwerder ist nur der erste Schritt, und ich halte an einer möglichen Verlängerung bis Wilhelmsburg fest.
Wie wirkt sich der Bau der Seilbahn aus städtebaulicher Sicht aus?
Hirche: Ein riesiger Pylon soll mitten in den Alten Elbpark gebaut werden, der auf Höhe der Tanzenden Türme abschließt und das Hafenpanorama massiv verändert. Sowohl an der Startstelle als auch im Park müssen viele Bäume weichen. Diese Grünanlage ist für die Neustädter und St. Paulianer ein Naherholungsgebiet, das ihnen durch den Bau der Seilbahn genommen werden würde.
Gundelach: Ich sehe den Pylon nicht als Problem an, da dieser sehr filigran ist und am Rande des Parks steht. Als ansprechendes Naherholungsgebiet würde ich den Alten Elbpark nicht bezeichnen. Ich sehe hier überwiegend Menschen, die ihr Bier trinken oder ihren Hund spazieren führen. Dieser Park braucht ein Gesamtkonzept, um wieder attraktiv zu werden und in dieses Gesamtkonzept kann der Bau der Seilbahn gut integriert werden.
Hirche: Ich finde es unglaublich, mit welcher Arroganz die Seilbahn-Befürworter über den Alten Elbpark sprechen. Ich bin hier aufgewachsen, habe dort Fahrradfahren gelernt und im Winter gerodelt. Für die Menschen hier ist er durchaus ein Naherholungsgebiet. Wenn Ihnen das nicht bekannt ist, liegt es wohl daran, dass Sie nicht mit den Menschen gesprochen haben, die in der Umgebung des Alten Elbparks leben und diesen auch nutzen. Und zwar nicht zum Biertrinken. Die Menschen auf St.Pauli und in der Neustadt und in der Nachbarschaft des Elbparks sind gebeutelt genug. Denn aus den gläsernen Gondeln der Seilbahn kann man bei ihnen in die Wohnungen schauen. Das erinnert mich doch sehr an einen Zoo.
Gundelach: Die Streckenführung ist so ausgelegt, dass man keinem in die Wohnung schauen kann. In einer Großstadt führt man keine Seilbahn an Balkonen vorbei.
Welches sind Ihre wichtigsten Argumente für beziehungsweise gegen eine Seilbahn?
Hirche: Die Seilbahn zerstört ein wichtiges Naherholungsgebiet und historische Stadtgrenzen. Die Einstiegshaltestelle soll an eine verkehrstechnisch zu belastete Stelle und erzeugt einen Verkehrsinfarkt. Wir Bürger haben keinen Nutzen von dieser Musical-Seilbahn, die kein Verkehrsmittel nach Wilhelmsburg ist.
Gundelach: Es ist ein modernes, leises und besonders umweltfreundliches Verkehrsmittel, mit dem binnen einer Stunde bis zu 3000 Menschen über die Elbe transportiert werden können. Die Seilbahn ist eine Chance für Hamburg als Transportmittel der Zukunft.
21. August 2014, Kieler Nachrichten und Hannoversche Allgemeine:
Schweben und schweben lassen
Weltstädte wie New York, London, Barcelona, São Paulo oder Singapur sind eine Liga für sich. Denn diese Metropolen haben, wovon in Kiel noch geträumt wird: eine Seilbahn. Ob Hamburg künftig auch in dieser Liga spielt, soll sich dagegen schon am Sonntag entscheiden. Dann stimmen die Bürger über das 35-Millionen-Euro-Projekt ab.
Hamburg. Die ehrgeizigen Pläne des Musicalbetreibers Stage Entertainment („Der König der Löwen“, „Das Phantom der Oper“, „Mamma Mia!“) und dem österreichischen Seilbahn-Hersteller Doppelmayr aus Bregenz sehen eine Verbindung vor, die in 80 Metern Höhe über den Hafen führt. Vom 92 Meter hohen Nordponton an der Glacischaussee auf St. Pauli soll es zu den Musical-Theatern am Südufer. gehen Eine Verlängerung der Strecke bis Wilhelmsburg und zu den Kreuzfahrtterminals wäre möglich, ist aber derzeit durch das Hafenentwicklungsgesetz unterbunden.
Am Sonntag sollen rund 200000 Wahlberechtigte des Bezirks Hamburg-Mitte über den 35 Millionen Euro teuren Bau abstimmen. Die zuständige Bezirksversammlung hatte das luftige Projekt im vergangenen Jahr zu den Akten gelegt, mehr als 14000 Seilbahnfans aber brachten mit ihrer Unterschrift ein Bürgerbegehren pro Gondel auf den Weg. Und die Befürworter im Seilbahn-Wahlkampf (Motto: „Künftig schweben wir zum Dom“) führen gute Argumente ins Feld: Die Verbindung könnte das Verkehrsnetz entlasten – wobei es vorrangig um die Fähren geht, die bislang die Musical-Besucher zu den Veranstaltungen bringen. Die Seilbahn fahre mit Elektrostrom und gelte als eines der sichersten Verkehrsmittel. Sie würde Touristen anlocken und den „Sprung über die Elbe“ für 3000 Fahrgäste pro Stunde ermöglichen. Vor allem aber, und das ist das wichtigste Argument der Pro-Gondler: Die Bahn würde den Steuerzahler nichts kosten. Denn das Projekt ist rein privatwirtschaftlich finanziert und – so das Versprechen – würde nach zehn Jahren wieder demontiert.
Bürgerschaftsabgeordnete machen eine andere Rechnung auf: Eine runde Million Euro könnten die Hamburger Verkehrsbetriebe pro Jahr durch die neue Konkurrenz verlieren – am Ende würde doch der Steuerzahler belastet. Zudem koste eine einfache Fahrt sechs Euro – zu teuer.
„Kein Disneyland auf St. Pauli“, wettern die Gegner. Die Gründerin der Initiative „Keine Seilbahn von St. Pauli über die Elbe“, Kiez-Anrainerin Sabrina Hirche (32) sagt: „Ich hatte sofort ein Bild von riesigen Stahlpfeilern im Kopf, die ein Seil über unsere geliebte Elbe spannen und das wunderbare Hafenpanorama zerstören würden.“ Auch die Grünen sind dagegen: Zu teuer, zu hässlich – die Seilbahn sei lediglich ein „Musical-Zubringer“. St. Pauli könnte, so meinen viele zwischen Hafenstraße und Millerntor, weiter kommerzialisiert werden.
Hauptnutznießer sei nun einmal Musical-Multi Stage Entertainment, heißt es von den Kritikern. Abend für Abend zieht der Disney-Evergreen „König der Löwen“ mehr als 2000 Besucher an. Das neue Musical „Das Wunder von Bern“ könnte zusätzliche 1800 Gäste nach Steinwerder locken. Auch deshalb zeigen sich Kommunalpolitiker wie SPD-Mann Andy Grote reserviert. St. Pauli, so der 46-Jährige Bezirksamtschef, sei kein Freizeitpark, sondern Heimat.
Aber ist die Suche nach Vergnügen nicht das Wesen St. Paulis? Travestiekünstler Olivia Jones, der seit vielen Jahren im Kiez lebt, outet sich als – nachdenklicher – Befürworter: „Unterm Strich scheint für mich das Projekt immer noch mehr Chance als Risiko zu sein, vor allem, weil es bestimmt nicht das Klientel nach St. Pauli lockt, vor dem sich Anwohner fürchten. Wodka-Zapfhähne an Bord der Gondeln sind jedenfalls, soweit ich weiß, noch nicht geplant.“ Und mit dem Unternehmer Albert Darboven haben die Befürworter einen Kaufmann in den Reihen, der in bester hanseatischer Tradition argumentiert. Man dürfe sich Neuem nicht verschließen. Gerade in Hamburg „sollten die Menschen wissen, dass man an und wann zu neuen Ufern aufbrechen muss.“
21. August 2014, Hamburger Abendblatt:
Das sagen Befürworter und Gegner der Seilbahn
Die Frau hinter der Gegen-Initiative: Sabrina Hirche
„Keine Seilbahn von St. Pauli über die Elbe.“ So lautet das Motto der Initiative, die Sabrina Hirche mit ins Leben gerufen hat. Als die St. Paulianerin 2011 zum ersten Mal erfuhr, dass es Pläne für eine Seilbahn über die Elbe gibt, war sie „entsetzt. Ich hatte sofort ein Bild von riesigen Stahlpfeilern im Kopf, die ein Seil über unsere geliebte Elbe spannen und das wunderbare Hafenpanorama zerstören würden.“ Die 32-Jährige, die ihre Kindheit zwischen Michel und Elbe verbrachte, hat sich intensiv mit der Seilbahn befasst und wurde zur engagierten Gegnerin. Sie warnt vor einem Verkehrsinfarkt für den schon von Veranstaltungen stark strapazierten Kiez.
Außerdem befürchtet die Angestellte im öffentlichen Dienst, dass der Alte Elbpark, der für sie die historische Stadtgrenze und Naherholungsgebiet des Viertels darstellt, stark in Mitleidenschaft gezogen werden würde. Viel Geld hat Sabrina Hirche für ihre Kampagne nicht zur Verfügung, es gibt keinen großzügigen Sponsor wie bei den Befürwortern. Aber trotzdem hat sie Flyer drucken lassen, macht auf Facebook gegen die Seilbahn mobil und versucht auf Wochenmärkten die Bürger von ihrer Meinung zu überzeugen. Immer mit dem Ziel, dass sich die Menschen dagegen entscheiden.
21. August 2014, stern.de:
Geschenkt ist noch zu teuer
Ein Musicalbetreiber will Hamburg eine Seilbahn spendieren. Doch das ist kein Geschenk an die Stadt, sondern eiskaltes Business. Ein Lehrstück darüber, wie Investoren sich Stadtentwicklung kaufen.
Lautlos gleiten die strahlend-weißen Gondeln in 80 Metern Höhe über die Elbe. Bis zu 3000 Menschen pro Stunde können sie von den Hamburger Landungsbrücken ans andere Elbufer bringen. So zumindest planen der Musicalkonzern Stage Entertainment und der österreichische Seilbahnbauer Doppelmayr die Zukunft in Hamburg. Dafür wollen die Firmen rund 35 Millionen Euro investieren und benötigen keinen Cent Steuergeld – ein großes Geschenk an die Stadt, wie es scheint. „Sieben Minuten pures Glück“, verspricht die Reklamebroschüre den Besuchern.
Doch ein ehrliches Geschenk ist selbstlos. An einem Präsent bereichert man sich nicht persönlich – und tut man dies doch, dann ist es kein Geschenk. Sondern Mittel zum Zweck. So ist die Seilbahn kein öffentliches Verkehrsmittel, sondern in erster Linie ein Transportmittel für die Touristenschwärme, die auf das andere Elbufer zu den Musicalspielorten gegondelt werden. Und deshalb wollen weder die Bezirksregierung noch Anwohner die Seilbahn. Warum auch? Wer den Sprung über die Elbe wagt, nimmt die Barkasse. Und den St.Paulianern hängt der Touri-Rummel inzwischen schwer zum Hals heraus.
Zur Kulisse abgestempelt
Seit Jahren verkommt der Stadtteil zu einem aufgehübschten Disneyland-Kiez. Die Straßen und Häuser werden zu Kulissen, die Bewohner zu Statisten für touristische Großevents. Da pilgern rund eine halbe Million, in die Jahre gekommener, Plastiksonnenblumen-Mädchen zum Schlagermove, knattern Zahnärzte aus ganz Deutschland auf teuren Motorrädern durch die engen Häuserschluchten bei den Harley-Days und Menschenmassen schwärmen zu den Cruise-Days, um Schiffe zu begaffen. Dazwischen schleppen sich Rentnergruppen einer aufgemotzten Olivia Jones (Oder jemanden, der so ähnlich aussieht) hinterher oder wanken besoffene Fast-Bräute und Demnächst-Bräutigame mit ihren strikt geschlechter-getrennten Freundeskreisen in albernen T-Shirts, auf denen mitunter Sinnsprüche zu lesen sind: „Andreas hat seine Endgegnerin gefunden.“
Auch wenn St. Pauli von dem Bau besonders betroffen wäre, ärgert es viele Hamburger, dass sie nicht mit abstimmen dürfen. Grund dafür is ein politischer Kniff, allerdings nicht durch die Stage Entertainment, sondern durch den Hamburger SPD-Senat. Dort wurde das Problem Seilbahn an den Bezirk gegeben – und eben genau dort wird jetzt auch per Bürgerentscheid abgestimmt.
Missbrauch der Demokratie
Nun sollen noch mehr Fun und Action an die Elbe kommen. Die Musicalveranstalter haben ein Geschäft gewittert. Und greifen mit aller Macht zu. Die Geschichte von Hamburgs Seilbahn ist die eines privatwirtschaftlichen Konzerns, der sich die Stadt so gestaltet, wie sie ihm passt. Das heißt – wie so oft – profitorientiert. Gewinnmaximiert. Stadtplanerische Hoheit für 35 Millionen Euro. Und wenn die Anwohner und die Politik im Bezirk nicht mitspielen, dann schiebt das Unternehmen eben auch noch den notwendigen Bürgerentscheid an. Damit missbraucht die Stage Entertainment ein basisdemokratisches Mittel für den Bau eines lukrativen Geschäftsmodells. Dafür braucht die Firma nur ein dickes Scheckheft für das Marketing und genügend Freikarten. Das ist beängstigend – und unfassbar dreist.
Zunächst scheinen die Initiative für die Seilbahn und die dahinter stehenden Unternehmen sehr auskunftsfreudig. Sie spielen, ohne müde zu werden, die gleiche Platte: Keine Steuergelder werden für Bau und Betrieb der Seilbahn gebraucht. Umweltfreundlich ist die Bahn auch. Und ein tolles Verkehrsmittel. Wortkarg allerdings werden alle Beteiligten, wenn es um die Marketingausgaben geht. Denn die Seilbahn wurde politisch schon mehrfach geblockt – nun sollte ein Bürgerentscheid her. Doch um den überhaupt aufsetzen zu können, brauchte es Unterschriften. Und die wurden fleißig gesammelt, gerne auch fernab der betroffenen Stadtteile. Dort wurde das Kreuz an der richtige Stelle mit einer Freikarte belohnt – für eine Fahrt in einer Seilbahn, über deren Bau noch nicht einmal entschieden ist. Für die Pro-Seilbahn-Initiative ist das kein Problem: Man habe die Freikarten nicht dafür genutzt, um Unterschriften zu gewinnen – aber man habe nach Unterschrift gerne Gondelticket verteilt, so Herlind Gundelach, eine der Initiatoren.
Kein Geld ohne Seilbahn
Dazu kommen Veranstaltungen, Plakate, Flyer – die ganz große Werbetrommel. Als besonderes Extra stellten die beiden Firmen auch noch einen Scheck über 10 Millionen Euro in Aussicht, der für soziale Projekte ausgegeben werden sollte. Natürlich würde es das Geld erst geben, wenn der Bürgerentscheid erfolgreich sei und die Seilbahn auch wirklich gebaut wird. Inzwischen wird es den Scheck wohl gar nicht mehr geben, denn die Spende für Bedürftige an den Ausgang des Bürgerentscheids zu koppeln, fasste der Bezirk als Bestechung auf.
Und fragt man die Initiative für die Seilbahn oder die Stage Entertainment oder Doppelmayr, ob sich die Bahn rechnet, schweigen alle. Doch genau davon ist auszugehen: Bislang werden die Musicalzuschauer mit Barkassen ans gegenüberliegende Elbufer geschippert. Das kostet den Musicalveranstalter Geld – warum also nicht ein Event aus der Überfahrt machen und selber daran verdienen? Da das Unternehmen selbst keinerlei Zahlen rausrücken möchte, hilft nur grobes Überschlagen: Wenn im November neben dem „König der Löwen“ auch das zweite Musical seinen Betrieb aufnimmt, erwartet die Stage bis zu 1,4 Millionen Zuschauer im Jahr. Eine einfache Fahrt soll rund sechs Euro kosten. Selbst wenn nur jeder zweite Musicalgast die Seilbahn nutzen würde und es Rabatte bei gebuchter Hin- und Rückfahrt gibt (geschätzte Gesamtkosten: 10 Euro) und von den jährlich rund sechs Millionen Touristen in der Stadt nur jeder Zehnte in die Gondel einsteigen würde, läge der Umsatz – ohne einen einzigen Hamburger Pendler transportiert zu haben – locker bei 13 Millionen Euro. Pro Jahr. Tendenz steigend. Eine Investition von 35 Millionen Euro hätte sich da fix rentiert.
Seilbahn als Sieger
Schlimm, wenn die Seilbahn kommt. Fatal, wenn sich das Modell des eingekauften Bürgerentscheids durchsetzt. Firmen mit unsinnigen Veränderungswünschen oder Geschäftsideen könnten sich künftig mit ihrem großen Werbebudget schlichtweg den Stimmenrückhalt aus der Bevölkerung kaufen. Nicht die Meinung des Volkes oder betroffener Bürger wäre entscheidend, sondern die größtmögliche Mobilisierung der Schwarmintelligenz. Dann wäre ein Mechanismus wie der Bürgerentscheid, der Menschen eine Mitbestimmung einräumt, zu einem Profit-Vehikel verkommen, um wirtschaftliche Interessen durchzudrücken.
In Hamburg scheint das System erfolgreich zu sein: Gut informierte Kreise gehen inzwischen stark von einem Sieg der Seilbahnbauer aus. Der Bürgerentscheid endet am 24. August.
22. August 2014, Lübecker Nachrichten:
Eine Seilbahn für Hamburg?
Die Bürger von Hamburg-Mitte entscheiden, ob Musical-Besucher in Zukunft in gläsernen Gondeln über die Elbe fahren sollen.
Hamburg. Joachim Stratenschulte (64) blickt nach oben in die Takelage der „Rickmer Rickmers“. Er ist auf dem Museumsschiff an den Hamburger Landungsbrücken Geschäftsführer, und wenn es nach ihm geht, dann wird in wenigen Jahren eine Seilbahn von St. Pauli über sein Schiff die Elbe in Richtung Steinwerder überqueren, zu dem Musical-Zelt vom „König der Löwen“ und dem neuen Theater daneben, wo demnächst „Das Wunder von Bern“ Premiere feiern wird. „Ich glaube an das Prinzip Seilbahn“, sagt Stratenschulte. „Ich glaube, dass das ein total tolles Verkehrsmittel ist.“
Stratenschulte ist Sozialdemokrat. Mit seiner Seilbahn-Euphorie ist er in der SPD von St. Pauli auf verlorenem Posten.
Die Bezirksversammlung hat das Projekt abgelehnt. Daraufhin brachte Stratenschulte mit der CDU-Bundestagsabgeordneten Herlind Gundelach und dem ehemaligen Tourismusverbandschef Thomas Magold ein Bürgerbegehren auf den Weg. Es war erfolgreich, und deshalb stimmen die Bürger des Bezirks Mitte jetzt über das Projekt ab. Eine Seilbahn, schwärmt Stratenschulte, sei umweltfreundlich, schnell gebaut, preiswert, quasi geräuschlos, und verbrauche kaum Fläche.
Von einer Anhöhe im Alten Elbpark blickt Otto von Bismarck elbabwärts, riesengroß, grob und klobig. Weiter unten zeigt Sabrina Hirche (32) die Stätten ihrer Kindheit: „Hier war das Hauptquartier meiner Bande.“ Sie ist am und in diesem Park groß geworden, ist hier gerodelt und hat hier Fahrrad fahren gelernt. Ganz am Rand, dort, wo einige Birken dekorativ die Zweige hängen lassen, soll der mehr als 100 Meter hohe Pylon der Seilbahn hinkommen. Er wird Bismarck weit überragen. „Sie können sich vorstellen, was passiert, wenn ständig Gondeln mit einem sirrenden Geräusch kommen“, sagt sie. Sabrina Hirche ist eine Wortführerin der Gegner. Auch sie ist Sozialdemokratin. „Joachim und ich verstehen uns gut“, sagt sie über Stratenschulte. Aber in dieser Sache stehen sie einander unversöhnlich gegenüber. Sabrina Hirche fürchtet um ihren Park, um ihren Stadtteil, um das Hafenpanorama ihrer Stadt, und sie sagt einen Verkehrsinfarkt in St. Pauli voraus. Sie nennt das Bürgerbegehren ein „Konzernbegehren“. „Es wurden Freikarten verteilt für etwas, was es noch gar nicht gibt“, sagt sie. „Das ist unlauter. Wenn die Stage Entertainment damit durchkommt, wird das Schule machen.“
Auch um die Reeperbahn ist die Seilbahn Diskussionsthema. „Wir sind nicht in den Bergen, wir sind in Hamburg“, sagt Rosi Burkhard (42), die im „Goldenen Handschuh“ hinterm Tresen steht, und einer ihrer Gäste ergänzt: „Wir sind Norddeutsche, wir lieben das Wasser. Was soll da ’ne Seilbahn?“ Rolf Zengerling (53), der einen Steinwurf entfernt an einem Außentisch des „May“ sitzt, sieht es anders:
„Mit der Seilbahn über die Elbe fahren, das ist modern, das ist Abenteuer, das ist der Kick! Jede Stadt braucht so etwas.“ Er war nicht immer dieser Meinung: „Ganz zu Anfang war ich dagegen, weil ich mich nur mit Leuten unterhalten habe, die dagegen waren.“
Joachim Stratenschulte verwahrt sich gegen den Vorwurf, er handle für die Investoren. „Wir drei haben mit den beteiligten Unternehmen nichts zu tun“, sagt er. „Mir hat noch nicht mal jemand eine Tasse Kaffee ausgegeben.“ Dass es ein kommerzielles Projekt ist, stört ihn nicht. „Klar ist das kein öffentliches Nahverkehrsmittel. Kein Mensch behauptet, dass das nicht ein kommerzielles Unternehmen wäre. Aber wo ist denn da die Kritik? Es wird ja so getan, als wäre eine kommerzielle Seilbahn Teufelszeug.“
Er vermutet, dass die Bürger mehrheitlich für das Projekt stimmen werden. Er weiß aber, dass die Gegner sich nicht geschlagen geben werden. Eine Sammelklage sei nicht auszuschließen, sagt Sabrina Hirche. „Der letzte Akt wäre, sich an die Bäume zu ketten.“
27. August 2014, st.pauli-news.de:
Seilbahn-Gegner feiern auf dem Spielbudenplatz
Auf dem Kiez wird gefeiert: Keine Gondeln über der Elbe! Knapp zwei Drittel der Wahlteilnehmer erteilen der geplanten Seilbahn eine Absage.
Gestern hatten wir es ja an dieser Stelle schon verkündet, jetzt ist es offiziell: Nix Seilbahn! Zwei Drittel sprechen sich gegen das Projekt aus. Laut offiziellem Endergebnis, das am Nachmittag vorgestellt wurde, stimmten lediglich 18.312 der Vorlage des Bürgerbegehrens zu. 31.769 hatten mit NEIN abgestimmt. Das entspricht 63,4 Prozent.
Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD) sprach bei der Pressekonferenz am Mittwochnachmittag von einem “klaren Ergebnis”. “Das Votum ist bindend für den Bezirk, aber auch für den Senat.” Die Seilbahn in dieser Form – von St. Pauli zu den Musicalzelten auf der anderen Elbseite – sei damit endgültig vom Tisch. Die Freude über das gescheiterte Bürgerbegehren konnte der Bezirkschef nur schwer verbergen. “Dass ich eine gewisse Freude verspüre, ist sicherlich nachvollziehbar. Ich halte das Ergebnis für eine richtige und gute Entscheidung.” Das Ergebnis sei aber kein Votum gegen den Tourismus, sondern eines für den Erhalt der Einzigartigkeit dieser Stadt.
Etwas bedröppelt lauschte Thomas Magold, einer der Hauptinitiatoren des Bürgerbegehrens, den Worten des Bezirksamtsleiters. “Wir akzeptieren selbstverständlich das Votum der Wähler in Hamburg-Mitte, sind aber nach wie vor überzeugt, dass die Hansestadt damit vorerst die große Chance verpasst, ein innovatives Verkehrsmittel völlig ohne Kosten oder Risiko für die Stadt zu erproben”, sagte er im Anschluss. “Wir haben uns sehr engagiert, aber die Angst vor Veränderung ist bei vielen Bürgern größer als die Lust, etwas Neues zu probieren”, sagte Magold. Das habe die Politik in Mitte aufgegriffen und mit ihrer Diffamierungskampagne befördert. “Die Stage hätte einen fairen Umgang verdient, den hat das Unternehmen aber nicht bekommen.”
Das sieht FDP-Wirtschaftsexperte Thomas-Sönke Kluth ähnlich: “Eine Seilbahn über die Elbe wäre nicht nur ein touristisches Highlight sondern auch eine sinnvolle Ergänzung des ÖPNV.”
“Die Menschen lassen sich nicht kaufen”
Auf dem Spielbudenplatz feierten die Gegner der Seilbahn am Nachmittag euphorisch das Ergebnis – obwohl der Jubel für die Kameras im ersten Moment noch etwas verhalten wirkt, als könnten sie ihr Glück immer noch kaum fassen. “Ich habe nicht gedacht, dass es so ausgeht”, sagt Sabrina Hirche, Initiatorin der Initiative Keine Seilbahn von St. Pauli über die Elbe. Bis zuletzt war sie unsicher, wie das Votum der Menschen ausfallen würde. Den Sekt habe sie daher eben erst am Kiosk gekauft. “Ich bin völlig überwältigt.”
“Wir haben gezeigt, dass David gegen Goliath gewinnen kann”, sagt Theresa Jakob von der Initiative Keine Seilbahn. “Es ist ein doppelter Sieg, für die Bürger von St. Pauli und die Demokratie insgesamt.” Jubelnd liegen sie sich in den Armen, auch Vertreter von SPD, Grüne und Piraten sind dabei und klatschen sich gegenseitig ab. Ein Sektkorken fliegt über den Platz. “Das klare Ergebnis zeigt, dass ein Bürgerbegehren von keiner Firma gekauft werden kann”, sagt Michael Osterburg von den Grünen. “Die Bürger haben sich durchgesetzt und für sich und ihren Stadtteil entschieden.” Andreas Gerhold von den Piraten ergänzt: “Die Menschen in Mitte haben der Konzernlobby eine klare Absage erteilt.”
“Hamburgs Bürger Haben sich weder täuschen noch kaufen lassen”, sagt Sabrina strahlend. “Ich bin wahnsinnig glücklich. Jetzt feiern wir erstmal auf unserem Dorfplatz.” Käse und Wein stehen schon bereit. Bei Samba-Klängen, die über den Platz hallen, hält auch Magdalena Eberhard die Füße nicht mehr still. Seit vier Jahren habe sie gegen die Seilbahn gekämpft, Briefe an Senatoren und Bezirkspolitiker geschrieben und die Presse für das Thema sensibilisiert. Am Montag hatte sie sich bereits im Bezirksamt einen ersten Eindruck bei der Auszählung verschafft. “Ich habe es gehofft, aber nicht erwartet”, sagt Magdalena über das Ergebnis. “Jeder, der Hamburg liebt, muss sich über dieses Ergebnis freuen.”
27. August 2014, ndr.de:
Hamburger geben Seilbahn keine Chance
Die Bürger im Bezirk Hamburg-Mitte haben entschieden: Die umstrittene Seilbahn von Hamburg-St. Pauli über die Elbe zu den Musicaltheatern wird nicht gebaut. Nach Angaben des Bezirksamts stimmten knapp zwei Drittel gegen das Projekt.
Ein Viertel hatte abgestimmt
50.081 Bürger hatten ihre Stimme abgegeben. 31.769 (63,4 Prozent) votierten gegen das Projekt, nur 18.312 waren dafür. Insgesamt konnten 203.318 Einwohner bis Sonntag ihre Stimme abgeben, die Wahlbeteiligung lag bei rund 25 Prozent. Der Bürgerentscheid sei für den Senat rechtlich bindend, das habe dieser für die Seilbahn so festgelegt, sagte Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD).
35 Millionen Euro sollten investiert werden
Die Pläne sahen vor, dass die Seilbahn in 80 Metern Höhe vom Heiligengeistfeld in St. Pauli über die Elbe nach Steinwerder führt. Dort befinden sich gleich zwei Musical-Theater: „Der König der Löwen“ läuft seit 2001, das neue Theater wird im Herbst 2014 mit „Das Wunder von Bern“ eröffnet. Die Seilbahn sollte die Shuttle-Fähren der HADAG für die Musicalbesucher ergänzen. Das Unternehmen Stage Entertainment wollte mit dem österreichischen Seilbahnbauer Doppelmayr 35 Millionen Euro in die 1,5 Kilometer lange Strecke investieren.
Befürworter des Projektes äußerten sich nach dem Scheitern enttäuscht. „Wir haben immer an die Seilbahn über die Elbe geglaubt“, sagte Herlind Gundelach, Initiatorin des Bürgerbegehrens. Thomas Magold von der Initiative „Ja zur Seilbahn“ sprach von einer „verpassten Chance, ein innovatives Verkehrsmittel völlig ohne Kosten oder Risiko für die Stadt zu erproben.“ Die Firmen Doppelmayr und Stage Entertainment teilten gemeinsam mit: „Selbstverständlich akzeptieren und achten wir den Bürgerwillen.“ Auch die Handelskammer bedauerte das Votum: Von einer Seilbahn hätten neben den Gästen in der Stadt auch die Hamburger profitiert.
Feier auf dem Spielbudenplatz
Die Seilbahn-Gegner reagierten mit einer Feier unter dem Motto „Sieg David gegen Goliath“ auf dem Spielbudenplatz. Sie seien überwältigt von der deutlichen Mehrheit, sagte Sabrina Hirche, eine der Vertreterinnen der Gegner-Initiativen. Die Initiative „Keine Seilbahn über unseren Köpfen“ teilte mit: „Wir sind erleichtert, dass Hamburg ein Fahrgeschäft erspart geblieben ist, das den Menschen in der Stadt keinen echten Nutzen gebracht hätte.“ Initiatorin Theresa Kajob sprach von einem „Sieg der Demokratie“.
Die Kritiker hatten in dem Projekt keine Bereicherung für die Hansestadt, sondern eher für die Konzerne gesehen. Eine Initiative befürchtete Nachteile für die Anwohner durch erhöhte Touristenströme und zusätzlichen Verkehr. Außerdem hätte die Bahn mit ihren 92 und 129 Meter hohen Stützen ihrer Meinung nach das Stadtbild zerstört.
„Entscheidung für die Einzigartigkeit“
In der Bezirksversammlung hatte sich im Juni ebenfalls eine Zwei-Drittel-Mehrheit gegen die Pläne ausgesprochen. Angesichts der hohen Beteiligung sei das Ergebnis repräsentativ für Hamburg und spiegele das Votum der Versammlung wider, sagte Bezirkschef Grote. „Das ist keine Entscheidung für den Tourismus, sondern für die Einzigartigkeit der Stadt“ mit der „unverwechselbaren Silhouette“ aus Michel, Elbphilharmonie und Landungsbrücken.
Auch Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) zeigte sich zufrieden: „Ich finde sehr gut, dass die Bürger entschieden haben, weil das immer für eine Legitimation der Entscheidung sorgt“, sagte er in einem Gespräch mit NDR 90,3.
27. August 2014, Hamburger Abendblatt:
Bewohner sprechen sich offenbar gegen Seilbahn aus
Die umstrittene Seilbahn über die Elbe wird nicht gebaut. Die Menschen in Mitte stimmen gegen das Projekt, wie der St.-Pauli-Blog aus sicherer Quelle erfahren hat.
Hamburg. 55.000 Bewohner des Bezirks Hamburg-Mitte hatten abgestimmt. Jetzt steht offenbar fest: Die umstrittene Seilbahn über die Elbe wird nicht gebaut. Nach Informationen des St.-Pauli-Blogs des Hamburger Abendblatts waren am Dienstagabend bereits so viele Nein-Stimmen ausgezählt worden, dass die nötige einfache Mehrheit der Gegner bei diesem Bürgerentscheid erreicht sein soll.
Die Seilbahn-Befürworter reagierten enttäuscht. Joachim Stratenschulte von der Initiative „Ja zur Seilbahn“ sagte: „Wenn es stimmt, dass die Zahl der Nein-Stimmen weit höher ist als die der Ja-Stimmen, wonach es im Moment aussieht, dann ist unser Projekt leider gescheitert. Wir sind traurig, aber wir akzeptieren selbstverständlich das Ergebnis dieses Bürgerentscheids. Wir glauben, dass Hamburg damit eine Chance verpasst.“ Sabrina Hirche, Initiatorin der Initiative „Keine Seilbahn von St. Pauli über die Elbe“, sagte am Abend: „Es ist eine deutliche Tendenz zu erkennen, die mir Freudentränen auf die Wangen treibt.“ Das vorläufige Endergebnis des Bürgerentscheids wird im Laufe des Mittwochs erwartet.
Die Seilbahn sollte St. Pauli mit den Musicaltheatern auf Steinwerder verbinden. Der Musicalproduzent Stage Entertainment und der Seilbahn-Hersteller Doppelmayr wollten die Baukosten in Höhe von 35 Millionen Euro alleine tragen.
27. August 2014, stern.de:
Wenn die Gondeln Trauer tragen
Der Seilbahn-Bürgerentscheid in Hamburg ist gescheitert. Das Ergebnis zeigt, dass die Bürgermeinung doch nicht käuflich ist – oder lag es nur an der schwachen Wahlbeteiligung?
Jetzt ist es offiziell: Der Hamburger Bürgerentscheid für eine Seilbahn ist gescheitert. Nur gut 36 Prozent wollten die Bahn, das reicht nicht. Die Initiatoren hatten noch vor wenigen Tagen Unterstützer und Medienvertreter für heute auf das Segelschiff „Rickmer Rickmers“ im Hamburger Hafen eingeladen. Wohl um den erhofften Sieg zu feiern. Heute Vormittag wurde die Veranstaltung abgesagt. Es ist vorbei.
„Als ich am Dienstagnachmittag erfuhr, dass sich eine Tendenz zum Nein abzeichnet, konnte ich es kaum glauben“, sagt Sabrina Hirche, die sich mit einer Initiative gegen die Seilbahn eingesetzt hatte. Und tatsächlich ist es kaum zu glauben. Denn dass Bürger selbst darüber entscheiden können, ob sie ein Geschenk aus Konzernhand haben möchten, ist schon selten. Dass sie dieses Geschenk nicht annehmen, ist unfassbar – aber richtig.
Ausgegondelt
Denn nicht alles, was nichts kostet, ist gut. In diesem Fall war das Musicalunternehmen Stage Entertainment gemeinsam mit einem österreichischen Seilbahnbauer angetreten, um eine Gondelbahn über die Elbe zu schicken. Kostenpunkt: 35 Millionen Euro, finanziert vom Unternehmen. Steuergeld sollte nicht eingesetzt werden. Auf dem anderen Elbufer werden bald zwei Musicalspielorte des Unternehmens stehen – mit der Seilbahn sollten künftig die Besucher den Fluss überqueren. Und darüber hinaus hoffte das Unternehmen auch, dass Touristen und Hamburger fleißig mit der Gondel den in Hamburg viel beschworenen Sprung über die Elbe wagen würden.
Dazu wird es nicht kommen. Von den 200.000 Stimmberechtigten gaben 55.000 ihre Stimme ab. Das Ergebnis: Über 63 Prozent der Menschen wollen keine Seilbahn. Also werden auch künftig die Musical-Fans auf eine Barkasse steigen müssen. Dass die Gondelbahn abgeschmettert wird, war allerdings kein Selbstgänger. „Ich gebe zu, dass ich befürchtet habe, dass die Seilbahn-Befürworter mit den Falschaussagen auf den Plakaten und somit falschen Versprechungen manch einen würden täuschen können“, sagt Hirche. Denn das PR-Paket, das die Initiatoren für den Pro-Seilbahn-Bürgerentscheid geschnürt hatten, war gewaltig: Veranstaltungen, Flyer, Plakate, prominente Werbeträger – und bündelweise Freikarten wurden aufgefahren. „Wir hatten keine Agentur im Rücken, die Motive entwirft, strategisch einen Wahlkampf plant und die Stadt mit Plakaten zupflastert“, sagt Hirche. „Aber wir hatten offenbar die besseren Argumente.“
Bürgerwille entscheidet
Das Unternehmen hatte die große Werbetrommel gerührt, denn so verlockend die Seilbahn für manch einen hätte sein können: für Stage Entertainment ging es ums Geschäft. Bislang muss das Unternehmen für die Barkassenfahrt der Besucher zahlen. Warum diesen Service nicht selbst anbieten und damit Geld verdienen? Und so hätte aus einem Bürgerentscheid ein Freifahrtschein für Geschäftsmodelle werden können, ein Profit-Hebel mit bürgernahem Anstrich.
Hamburg will es anders, die Bürger lassen sich nicht kaufen oder mit Freikarten bestechen – oder? Es mag auch an der schwachen Wahlbeteiligung gelegen haben, dass die Seilbahn nicht kommt. Allein im Stadtteil St. Pauli leben rund 24.000 Menschen, sie wären von der Bahn am stärksten betroffen gewesen. Ob die Bewohner von entfernteren Stadtteilen, wie Finkenwerder oder in Wilhelmsburg, sich mit einer Seilbahn auseinander gesetzt haben, ist unklar – das geben die veröffentlichten Zahlen nicht wieder. Das Unternehmen Stage Entertainment gibt sich zerknirscht: „Wir akzeptieren und achten den Bürgerwillen“, heißt es in einer Mitteilung.
Missbrauch der Demokratie
Sicher ist: Hamburg wird nicht zum Präzedenzfall für das Durchdrücken von Konzerninteressen durch Bürgerentscheide. „Man darf demokratische Instrumente nicht missbrauchen. Ich hoffe, dass es in Zukunft nicht mehr dazu kommt, dass auf Kommunalebene über eine so weitreichende Entscheidung abgestimmt werden darf, die allein aus dem Interesse eines Konzerns angeschoben wurde“, sagt Hirche. Bleibt am Ende die Hoffnung, dass es auch andernorts nicht dazu kommt.
28. August 2014, Hamburger Morgenpost:
Hier jubeln die Seilbahn-Gegner
Die Hamburger fahren weiterhin mit einer Fähre über die Elbe – die Seilbahn von St. Pauli nach Steinwerder kommt nicht. Rund zwei Drittel haben beim Bürgerentscheid gegen die Gondeln gestimmt.
Vor drei Jahren haben der Musical-Konzern Stage Entertainment und der Seilbahn-Hersteller Doppelmayr ihre Idee erstmals vorgestellt. Nun sind die Pläne vom Tisch. 63,4 Prozent stimmten gegen die Seilbahn, nur 36,6 Prozent dafür. Knapp 204000 Bürger im Bezirk Mitte waren abstimmungsberechtigt. Von diesem Recht machten 50081 Bürger Gebrauch. Die Wahlbeteiligung betrug 24,8 Prozent – für einen Bürgerentscheid ein guter Wert.
Lange Gesichter bei den Befürwortern. „Die Bürger haben sich von ihrer Angst vor Veränderungen leiten lassen. Hamburg hat vorerst die große Chance verpasst, ein innovatives Verkehrsmittel völlig ohne Kosten für die Stadt zu erproben“, sagte Thomas Magold, Mit-Initiator der Bürgerinitiative für die Seilbahn.
Die Projektverantwortlichen von Doppelmayr und Stage Entertainment teilten mit: „Seit wir die Idee einer Seilbahn der Öffentlichkeit vorstellten, haben wir gehofft, die Mehrheit der Hamburger für dieses Projekt zu begeistern. Das haben wir leider nicht erreicht.“ Enttäuschung auch bei der Handelskammer. „Von einer Seilbahn hätten neben unseren Gästen sämtliche Hamburger profitiert“, so Hauptgeschäftsführer Hans-Jörg Schmidt-Trenz.
Jubel hingegen bei den Seilbahn-Gegnern. „Das Ergebnis zeigt, dass wir als einfache Bürger ohne viel Geld im Hintergrund gegen Konzerne und Lobby-Verbände gewinnen können – das ist ein Sieg für die Demokratie“, so Theresa Jakob, Initiatorin der Initiative „Keine Seilbahn über unseren Köpfen“.
Auch Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD) war zufrieden. „Die Entscheidung ist kein Votum gegen den Tourismus, sondern für den Erhalt der Einzigartigkeit der Stadt mit ihrer unverwechselbaren Silhouette“, sagte er.
Das Ergebnis des Bürgerentscheids ist rechtlich bindend. Eine einfache Mehrheit hätte gereicht.
Keine Seilbahn von St. Pauli über die Elbe
Hamburg – weltoffene Stadt der Vielfalt. Aber wie weit darf diese Vielfalt gehen? Müssen wir denn alles haben? Eine Seilbahn ohne Berge? Und zwar quer über die Elbe gespannt?
Die Stage Entertainment ist mit Hamburg verwurzelt – keine Frage. Nicht nur mit Cats, dem Phantom der Oper, Tarzan, Dirty Dancing, Buddy Holly und König der Löwen lädt das Unternehmen viele Touristen zu uns und hat Hamburg zur Musical-Hauptstadt Deutschlands gemacht. Die drei Standorte der Musicalspielstätten liegen zentral am Spielbudenplatz, an der Holstenstraße und seit 1994 mit dem Theater im Hafen Hamburg direkt am Wasser. Letzteres sorgte damals für eine kleine Sensation, waren doch selbst Hamburger je kaum im Stadtteil Steinwerder gewesen. Plötzlich sah man auch über das Wasser und nicht wenige entdeckten die andere Elbseite für Ausflüge und genießen seitdem den Blick auf die Hamburg Silhouette mit Landungsbrücken, Michel, Fernsehturm und Bismarckdenkmal.
Inzwischen lässt die Stage Entertainment fleißig an einem weiteren Musicaltheater auf der anderen Elbseite bauen. Doch die Anreise soll nun nicht mehr per Fähre, Bus oder PKW erfolgen. Nun hat man sich etwas noch spektakuläreres einfallen lassen: Eine Seilbahn soll her! Einstiegshaltestelle: St. Pauli, direkt an der Glacischaussee, das ist die Straße, die an besonders intensiv besuchten Tagen des Hamburger DOMs gesperrt und zum Parkplatz umfunktioniert wird, was darauf schließen lässt, dass nicht ausreichend Parkplätze vorhanden sind. Lediglich zwei Pylonen (Stützpfeiler) mit einer Höhe von etwa 92 Metern wird man aufstellen wollen, die ausreichend sein werden, um die 26 Gondeln mit bis zu 30 Personen über ca. 1500 Metern Länge über die Elbe zu bringen.
Dass der Platz der Einstiegshaltestelle ob der schlechten Parkmöglichkeiten – und seien wir ehrlich, die meisten werden nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln, sondern eben sehr gerne mit dem PKW zur Seilbahn anreisen – nicht ideal gewählt sein könnte, wart schon erwähnt. Weiter geht es jedoch auch mit dem Streckenverlauf. Überwunden werden muss der Stintfang. So plant man den ersten Pfeiler an der Helgoländer Allee aufzustellen – vis-á-vis mit dem Bismarckdenkmal, direkt im Elbpark, nicht nur die alte Stadtgrenze zwischen Altona und Hamburg, sondern auch ein Naherholungsgebiet für Anwohner und Besucher. Die Stütze sei „wesentlich niedriger als der Michel“, lässt man den interessierten Leser auf der Internetseite zur Hamburger Seilbahn wissen. Das stimmt wohl. Unser Michel misst bis zur Spitze 132 Meter; die Aussichtsplattform jedoch befindet sich auf 82 Metern Höhe. Von dort wird man demnach wunderbar den Stützpfeiler anschauen können und mit etwas Glück – so viel muss es gar nicht sein – erhascht man sogar einen Blick auf eine der 26 Gondeln.
Das Hafenpanorama selbst wird sich selbstverständlich grundlegend verändern. Hamburg-Bilder der vielen großen Kreuzfahrschiffe vor pittoresker Hafenkulisse würden bald einen Seltensheitswert bekommen. Das Schlepperballett beim alljährlichen Hafengeburtstag wird zusätzlich von Seilbahngondeln umrahmt werden. Wer weiß, vielleicht baut man an der Endhaltestelle ein paar Plastikberge auf, damit Hamburg in Sachen Vielfalt in nichts mehr nachstehen muss.
Abgesehen von den oben genannten Argumenten, sei es auch zu überlegen, wieviele Attraktionen man einem immerhin mit 24.000 Einwohnern nicht gerade unbelebten Stadtteil noch zumuten kann. Dreimal im Jahr wird eben genau die Stelle, an der die Seilbahn die Besucher aufnehmen soll, vom Hamburger DOM frequentiert, der nicht wenig Besucher anlockt. Auch Schlagermove, Eurovision Songcontest-Übertragung, Harley Days, Reeperbahn Festival und natürlich der Hafengeburtstag bringen tausende Menschen nach St. Pauli und den angrenzenden Hafenstadtteil Neustadt. Um keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen – es ist schön, dass Hamburg so beliebt ist und so viel Besuch bekommt, der unserer Tourismusbranche nicht nur gut tut, sondern sogar elementar wichtig ist. Aber brauchen wir unbedingt eine Seilbahn mit Einstiegsstelle St. Pauli?
Ein Alternativentwurf wurde von der italienischen Leitner AG vorgestellt, die sich eine Seilbahntrasse von der Hafencity entlang der Kaimauer über die Elbe vorstellen könnte. Den Einstieg plant man an der U4-Haltestelle „HafenCity Universität“. Der Referent des Vorstands der Leitner AG lässt verlauten: „Die Trasse macht das Stadtpanorama erlebbar, ohne das Stadtbild zu zerschneiden, weil sich die Seilbahntechnik in die bestehende Hafentechnik einfügt.“ (Quelle) Eine mögliche Alternative für Seilbahnliebhaber, die weder dem Stadtbild schadet, noch zwei ohnehin viel frequentierte Stadtteile einen Verkehrs- und Besucherinfarkt versetzt?
Bis zum 20. Juni 2013 werden die Behörden entscheiden, wie und ob es mit einer Seilbahn für Hamburg weitergeht. Das Hamburger Abendblatt ließ gestern über die „Frage des Tages“ alle Online-Leser darüber abstimmen, welcher Standort geeigneter wäre. Erfreulicherweise wurde diese auch so verändert, dass sie den gemeinen Leser nicht mehr suggestiv dazu bringt, sich für den Standort St. Pauli auszusprechen. Das Ergebnis steht inzwischen fest:
Weitere aktuelle Informationen zu dem Thema Seilbahn auf St. Pauli gibt es auf dieser Facebookseite.
Außerdem veranstalten die Nexthamburg UG am Donnerstag einen Expertencheck zur Seilbahn.
Termin: Donnerstag, 20.6.: Braucht Hamburg eine Seilbahn? Was will die Stadt, was der mögliche Betreiber? Was wollen die Bürger?
Ort: Nexthamburg Salon, Bäckerbreitergang 14, Beginn: 19 Uhr.
St.Pauli trägt St. Pauli
„Die Straße trägt St. Pauli“ – so steht es in einem jeden Kapuzenpullover, T-Shirt, Trikot, Hut, Tasche, Hose, Baby-Lätzchen, Tanktop etc. pp. des von den Medien so gerne als „Kultverein“ titulierten Fußballclubs. Kaum ein Artikel, der noch nicht in das Totenkopf oder Vereinswappen gebrandete Sortiment aufgenommen wurde. Doch gerade im Stadtteil werden Stimmen lauter, dass die Artikel in einem preislich zu hohen Segment lägen und man sich mehr mit lokalen Anbietern denn einem großen Vermarkter solidarisch zeigen möchte.
Inzwischen gibt es zahlreiche Alternativen. Seine Liebe zum Verein und insbesondere zum Stadtteil St. Pauli kann man auch mit Textilien ohne Schädel ausdrücken. Ganz vorne mit dabei ist Michael Lutz, der mit seiner Kiezkicker-Kollektion besonders den Nerv der Bewohner St. Paulis und der dort arbeitenden oder zumindest mit dem Herzen lebenden Bevölkerung trifft. Die Kollektion wird ständig erweitert; T-Shirts, Hoodies, Mützen, Jutebeutel, Buttons und eine kleine Kinder-Linie sind inzwischen käuflich zu erwerben. Die Straße mit einem Stück aus der Kiezkicker-Palette auszustatten, steht natürlich im Vordergrund, doch Michael Lutz vergisst dabei nicht seine soziale Verantwortung. So beteiligen sich Kiezkicker an Hamburg teilt, unterstützen das Hinz&Kunzt Kickerturnier und setzen sich für Straßenkids in Hamburg ein.
Die soziale Verantwortung und die Liebe zum FC St. Pauli brachte drei Fans aus der Nordkurve des Stadions am Millerntor dazu, kreativ zu werden. Zu Beginn des Jahres fand wie üblich der Schweinske-Cup in der Alsterdorfer Sporthalle statt. Dabei handelt es sich um ein internationales Fußballturnier, das während der Winterpause immer zahlreiche Fußball-Fans in die Halle lockt. Im Januar 2012 kam es jedoch zu massiven Ausschreitungen zwischen zwei Fangruppierungen, über die Fans, Teilnehmer und Veranstalter gleichermaßen schockiert waren. Die anwesende Polizei konnte nicht verhindern, dass mehr als 70 Personen Körperverletzungen erlitten. Lokale Medien berichteten different zu anwesenden Fans über die Vorfälle rund um das Fußballturnier, das aufgrund der Gewalttaten abgebrochen werden musste; eine umfangreiche Zusammenstellung von Berichten liefert der Übersteiger.
Die drei eingefleischten FC St. Pauli-Fans, Anja, Thomas und Benni, waren und sind mehr als erbost über die Vorfälle und wollen es nicht hinnehmen, dass ihr geliebter Fußballclub auf derartige Weise in den Medien diffamiert und als „Krawallverein“ hingestellt wird. Ein zeitloses Motiv sollte gefunden werden, das sowohl an die Vorfälle erinnern, jedoch den Verein und seine Fans aus der Gewaltecke wegrücken sollte. Nach reiflicher Überlegung entschied man sich, den Ausspruch eines Mitarbeiters des FC während eines Fernsehinterviews als Leitmotiv zu nehmen. Als dieser mit dem Kommentar „vom Kultclub zum Krawallverein“ konfrontiert wurde, konterte er mit „Wir sind nicht der Club, der auf der Insel der Glückseligkeit lebt.“ Glücklicherweise fände Gewalt beim FC St. Pauli jedoch nur in einem sehr geringen Rahmen statt. Um an ebendiesen Ausspruch zu erinnern, entwarfen die drei Fans ein eigenes Logo mit Millerntor, Fernsehturm und Bunker – die Insel der Glückseligen. Die Kollektion gibt es für Deerns und Jungs, zu bestellen per Mail unter: insel.der.glueckseligen@googlemail.com ; bisher sind T-Shirts und Hoodies im Sortiment ab 19,10 € zu haben. Von jedem verkauften Stück fließen 2,50 € in die Solikasse, die zugunsten der Opfer des Schweinske-Cups eingerichtet wurde. Laufend aktuelle Informationen zu dem Projket erhält man auf der Facebookseite.
Sehr viel maritimer kommen die Jungs von MeerBrüder daher: auch ihre Shirts und Hoodies kommen direkt aus St. Pauli. Im Vordergrund ihrer Sachen steht jedoch nicht generell der Fußballclub, sondern die Piraterie: Augenklappen tragende Herzen, Jesus am Steuerrad eines Schiffes (ebenfalls als Pirat) und die „lustigen Grimmigen“ zieren die angebotene Kleidung. Als echte Hamburger Jungs und bekennende Meerliebhaber, lassen sie sich immer wieder etwas Neues einfallen, um die Bewohner der Stadt (und über deren Grenzen hinaus) Meerbrüder gerecht einzukleiden. Dem 2011 scheidenden Trainer des FC widmeten sie dann doch ein eigenes Motiv; als Fan kann man eben nicht ganz aus seiner Haut. Die vollständige textile Palette gibt es direkt bei den Meerbrüdern. Auch auf Facebook finden sich die MeerBrüder natürlich.
Ja, die Straße trägt St. Pauli. Aber das lässt sich auf vielfältige Weisen ausdrücken. Und wer nun Lust hat, leidenschaftliche, kreative, St. Pauli liebende Jungunternehmer zu unterstützen, der riskiert einfach mal einen Blick auf die angegebenen Seiten. Damit es heißt: St. Pauli trägt St. Pauli und St. Pauli trägt St. Pauli.
Die Straße trägt St. Pauli – St. Pauli trägt St. Pauli
„Die Straße trägt St. Pauli“ – so steht es in einem jeden Kapuzenpullover, T-Shirt, Trikot, Hut, Tasche, Hose, Baby-Lätzchen, Tanktop etc. pp. des von den Medien so gerne als „Kultverein“ titulierten Fußballclubs. Kaum ein Artikel, der noch nicht in das Totenkopf oder Vereinswappen gebrandete Sortiment aufgenommen wurde. Doch gerade im Stadtteil werden Stimmen lauter, dass die Artikel in einem presilich zu hohen Segment lägen und man sich mehr mit lokalen Anbietern denn einem großen Vermarkter solidarisch zeigen möchte.
Inzwischen gibt es zahlreiche Alternativen. Seine Liebe zum Verein und insbesondere zum Stadtteil St. Pauli kann man auch mit Textilien ohne Schädel ausdrücken. Ganz vorne mit dabei ist Michael Lutz, der mit seiner Kiezkicker-Kollektion besonders den Nerv der Bewohner St. Paulis und der dort arbeitenden oder mit dem Herzen lebenden Bevölkerung trifft. Die Kollektion wird ständig erweitert; T-Shirts, Hoodies, Mützen, Jutebeutel, Buttons und eine kleine Kinder-Linie sind inzwischen käuflich zu erwerben. Die Straße mit einem Stück aus der Kiezkicker-Palette auszustatten, steht natürlich im Vordergrund, doch Michael Lutz vergisst dabei nicht seine soziale Verantwortung. So beteiligen sich Kiezkicker an Hamburg teilt, unterstützen das Hinz&Kunzt Kickerturnier und setzen sich für Straßenkidsin Hamburg ein.
Die soziale Verantwortug und die Liebe zum FC St. Pauli brachte drei Fans aus der Nordkurve des Stadions am Millerntor dazu, kreativ zu werden. Zu Beginn des Jahres fand wie üblich der Schweinske-Cup in der Alsterdorfer Sporthalle statt. Dabei handelt es sich um ein internationales Fußballturnier, das während der Winterpause immer zahlreiche Fußball-Fans in die Halle lockt. Im Januar 2012 kam es jedoch zu massiven Ausschreitungen zwischen zwei Fangruppierungen, über die Fans, Teilnehmer und Veranstalter gleichermaßen schockiert waren. Die anwesende Polizei konnte nicht verhindern, dass mehr als 70 Personen Körperverletzungen erlitten. Lokale Medien berichteten different zu anwesenden Fans über die Vorfälle rund um das Fußballturnier, das aufgrund der Gewalttaten abgebrochen werden musste; eine umfangreiche Zusammenstellung von Berichten liefert der Übersteiger ().
Die drei eingefleischten FC St. Pauli-Fans, Anja, Thomas und Benni, waren und sind mehr als erbost über die Vorfälle und wollen es nicht hinnehmen, dass ihr geliebter Fußballclub auf derartige Weise in den Medien diffamiert und als „Krawallverein“ hingestellt wird. Ein zeitloses Motiv sollte gefunden werden, das sowohl an die Vorfälle erinnern, jedoch den Verein und seine Fans aus der Gewaltecke wegrücken sollte. Nach reiflicher Überlegung entschied man sich, den Ausspruch eines Mitarbeiters des FC während eines Fernsehinterviews als Leitmotiv zu nehmen. Als dieser mit dem Ausspruch „vom Kultclub zum Krawallverein“ konfrontiert wurde, konterte er mit „Wir sind nicht der Club, der auf der Insel der Glückseligkeit lebt.“ Glücklicherweise fände Gewalt beim FC St. Pauli jedoch nur in einem sehr geringen Rahmen statt. Um an ebendiesen Ausspruch zu erinnern, entwarfen die drei Fans ein eigenes Logo mit Millerntor, Fernsehturm und Bunker. Die Kollektion gibt es für Deerns und Jungs, zu bestellen per Mail unter: insel.der.glueckseligen@googlemail.com ; bisher sind T-Shirts und Hoodies im Sortiment ab 19,10 € zu haben. Von jedem verkauften Stück fließen 2,50 € in die Solikasse, die zugunsten der Opfer des Schweinske-Cups eingerichtet wurde. Laufend aktuelle Informationen zu dem Projket erhält man auf der Facebookseite.
Sehr viel maritimer kommen die Jungs von MeerBrüder daher: auch ihre Shirts und Hoodies kommen dierekt aus St. Pauli. Im Vordergrund ihrer Sachen steht jedoch nicht generell der Fußballclub, sondern die Piraterie: Augenklappen tragende Herzen, Jesus am Steuerrad eines Schiffes (ebenfalls als Pirat) und die „lustigen Grimmigen“ zieren die angebotene Kleidung. Als echte Hamburger Jungs und bekennende Meerliebhaber, lassen sie sich immer wieder etwas neues einfallen, um die Bewohner der Stadt (und über deren Grenzen hinaus) Meerbrüder gerecht einzukleiden. Dem 2011 scheidenden Trainer des FCs widmeten sie dann doch ein eigenes Motiv; als Fan kann man eben nicht ganz aus seiner Haut. Die vollständige textile Palette gibt es direkt bei den Meerbrüdern.
Ja, die Straße trägt St. Pauli. Aber das lässt sich auf vielfältige Weisen ausdrücken. Und wer nun Lust hat, leidenschaftliche, kreative, St. Pauli liebende Jungunternehmer zu unterstützen, der riskiert einfach mal einen Blick auf die angegebenen Seiten. Damit es heißt: St. Pauli trägt St. Pauli und St. Pauli trägt St. Pauli.
Abrechnung mit dem Ex ?!
Kaum jemand, der diese nicht kennt: Frust, Zorn, Trauer – vielfältige Gefühle kommen in einem hoch, wenn eine Beziehung auseinander geht, der eine den anderen verletzt hat. In extremen Fällen kann es zu folgender Gefühlsreihe kommen:
Phase 1: Die Tatsache der Trennung ist noch nicht verarbeitet, ergo noch nicht im Bewusstsein angekommen. Verdrängung.
Phase 2: Diese kann zwischen Selbstmitleid und hemmungsloser Feierei variieren; entscheidend dabei ist häufig der Faktor, wer sich von wem trennte.
Phase 3: Sollte man der Part des Duos sein, der verlassen wurde, so könnte nun Zorn aufkommen. Wut mischt sich womöglich darunter. Auch Rachegedanken können sich in die Reihe der vorangehenden Attribute einfügen.
Wie gestalten sich nun solche Rachegedanken in der modernen Zeit? Die Briefe des Ex verbrennen – etwas zu romantisch und angesichts der heutigen Zeit wegen fehlenden Materials kaum zu realisieren. Das Auto zerkratzen – auf St. Pauli gut möglich, dass dieser Akt der Rache nie als solcher erkannt wird. Ob dies an dem ohnehin desolaten Zustand des Vehikels liegt oder dem dem Stadtteil bereits assimilierten Vandalismus, sei dahin gestellt.
Kreativität bitte! In diesem Stadtteil ist man doch so geistreich, so eloquent, phantasievoll, nicht auf den Mund gefallen! Wenn man sich also wirklich an jemanden rächen will, dann greift man sich das heikelste Thema dieser Tage und macht es sich zu Nutze. Wohnungsnot! Es reicht eine einzige Anzeige in einem einzigen Immobilienportal mit dem Titel „Schöne 5 Zimmer Altbauwohnung auf St. Pauli“, eine kurze Beschreibung zu Größe und Ausstattung (Balkon und Terrasse!) und dem Hinweis „Ohne Maklercourtage“. Nun füge man nur noch die genaue Adresse mit Hausnummer und die korrekte Handynummer mit der Bitte, bei jeglichen Fragen „einfach anzurufen“, hinzu, und gebe noch einen allgemeinen Besichtigungstermin an einem Sonntagvormittag (auch ohne Anmeldung sei man herzlich willkommen, die Wohnung zu besichtigen) an. Fertig.
Ein an der Haustür hängendes Schild ließ jegliche Hoffnung der Wohnungsuchenden platzen – der Ärger, den der Bewohner der fünf Zimmer gehabt haben muss, wird weitaus immenser gewesen sein.
Das hier beschriebene Szenario ist rein fiktiv – zumindest, was die Vorgeschichte des Beziehungsendes angeht. Wer die Ironie an dieser Stelle noch nicht heraus gelesen haben sollte, dem sei an dieser Stelle mitgeteilt: ein solch asoziales Verhalten sollte bei jedem gesund denkenden Bürger jeglichem Verständnis für die Situation des Urhebers der falschen Anzeige entbehren, denn dieser schadete nicht nur dem / der Geschädigten, sondern auch den zahlreichen Wohnungssuchenden!
Fassunglos!
Wie lernt man eigentlich Homeoffice?
Seit zwei Wochen habe ich einen neuen Arbeitsplatz. Unschlagbarer Vorteil ist mein neuer Arbeitsweg und dass es nicht mehr so sehr ins Gewicht fällt, wenn ich mein am Abend zuvor vorbereitetes Essen auf der Anrichte vergessen habe. Und sonst? Über die Vor- und Vorurteile vom zu Hause arbeiten.
Seitdem ich 14 Jahre alt bin arbeite ich. Damals waren es Jobs wie Zeitungen und Prospekte austragen, dann hinterm Tresen im Eiscafé (eine der wenigen Gastroerfahrungen; zu Recht!), ich habe in der Werkstatt und im Sonnenstudio geputzt, Brötchen und Kuchen verkauft und mit Eintritt ins Studium eigentlich nur noch im Büro gearbeitet – zu Hause hat sich dieses dabei nie befunden.
Großer Vorteil an der Arbeit von zu Hause ist, dass ich mein Zuhause wirklich, wirklich gerne mag und in den letzten Monaten sehr wenig gesehen habe. Aber ich mag mein Zuhause als Zuhause. Ich habe bewusst kein Arbeitszimmer mehr, sondern ein Lese- und Gästezimmer, in dem sich kein Schreibtisch befindet. Dafür besitze ich einen großen und langen Esstisch im Wohnzimmer. Das zeigt sehr deutlich, wo meine Leidenschaften liegen. Ich habe einfach gerne Gäste, Menschen bei mir, bin – auch wer mich nur oberflächlich kennt weiß dies – einfach ein geselliger Mensch. Nun also Homeoffice, arbeiten von zu Hause aus. Allein.
Meinen Arzt konsultierte ich direkt nach meiner Rückkehr, wie am besten mit der Situation umzugehen wäre (aus Spanien kannte ich ja nur das ganz oder gar nicht, in der letzten Woche nur letzteres). Er fragte ob es möglich sei, von zu Hause aus zu arbeiten und wies streng auf das social distancing hin. Ja, mein Arbeitgeber erlaubte mir dies. Gut. Gut? Es war auf jeden Fall auch für die Kolleginnen aus den anderen Bezirken und natürlich mich selbst eine recht neue Erfahrung. Komplettes arbeiten aus den eigenen vier Wänden – challenge excepted.
Zunächst bedeutete es, sich Gedanken darüber zu machen, was man denn alles aus dem Büro benötigte, um weiter ganz normal arbeiten zu können. Das Telefon umzustellen war rasch erledigt. Laptop mitnehmen, Unterlagen, Drucker (!) und, und, und. In der ersten Woche fuhr (Fahrrad) oder lief (Morgenjoggingrunde) ich noch fast jeden anbrechenden Tag um 7 Uhr ins Büro, um ohne Menschen zu treffen Dinge zu holen oder vor Ort zu erledigen. Um es vorweg zu nehmen: einen Esstisch, der seinen Namen verdient, habe ich seither nicht mehr, dafür aber einen schönen Blick in meinen Hinterhof.
Seit zwei Wochen arbeite ich also im Wohnzimmer. Hartnäckige Gerüchte: super, da kann man ja den ganzen Tag im Jogger rumlaufen, kann anfangen, wann man will und nebenbei noch den Haushalt schmeißen. Nein. Gar nichts davon. Mein Tag hat sich zur Arbeit vor Ort im Büro kaum verändert. Wer mich kennt, weiß, dass ich am liebsten in den frühen Morgenstunden laufen gehe – wer hätte gedacht, dass das mal das Vernünftigste sein würde? Ok, ich habe eine weitere Leidenschaft in meinem Alltag ausgebaut, doch dazu ein anderes Mal vielleicht mehr. Die Struktur ist wichtig und ja, ich kleide mich ordentlich wie immer (nicht nur für etwaige Videocalls obenrum). Ich fange tatsächlich früher an (die Sache mit dem Arbeitsweg), allerdings vergesse ich oft zu essen, was inzwischen dazu geführt hat, dass meine geliebte Mama dazu übergegangen ist, mich gerne um die Mittagszeit anzurufen um zu kontrollieren, ob ich auch eine Pause einlege. Mein Schrittzähler verdient nicht mehr seinen Namen, nun gut. Irgendwas ist ja immer.
Mitarbeiterinnenbesprechungen haben wir nun häufiger, verrückt, was plötzlich alles möglich ist. Ja, durch frühere Fernbeziehungen war Videotelefonie schon mal ein Thema gewesen, aber wer hätte gedacht, dass man in der Zeit des von zu Hause arbeiten geradezu von einer solchen in die nächste stolpern würde, sich in manchen von vorherein entschuldigen muss, dass man nur 1 oder 1,5 Stunden Zeit habe, weil dann die nächste folge. Und ich spüre förmlich, wie gerade ein Lächeln über die Gesichter meiner frei beruflich tätigen, überwiegend von zu Hause aus arbeitenden Freundinnen geht, die wohl diese Zeilen Kopf schüttelnd lesen und dabei denken: kleine, naive Sabrina. Aber: Hey! Ich hab‘ das nie gelernt! Das ist wie die (!!) (finale!) Abiklausur schreiben, jahrelang wirst Du nur mit höchstens dreistündigen Klausuren behelligt und im Abi dann plötzlich: BÄM! Fünf Stunden, Du machst das schon. Und was soll ich sagen: beim Abi hatte man nur eine Chance, friss oder stirb. Da ist dieser Homeoffice-Lernprozess doch wesentlich schneller von statten gegangen und, unter uns gesagt, langfristig wahrscheinlich auch von mehr Erfolg gekrönt. Ein Manko: die Kolleginnen und vor allem auch die Jungs aus meiner Büroetage, der zwischenmenschliche Kontakt – das fehlt. Aber auch das ist eine ganz andere Geschichte, zu der zu einem anderen Zeitpunkt noch ein paar Worte geschrieben seien.
Bleibt (wenn es geht) schön zu Hause und bleibt gesund!
P.S.: kann man das eigentlich in sein CV als hard skill mit aufnehmen? Frage für einen Freund.
Liebe in Zeiten von Corona
Ganz genau, dies soll ein Kapitel über die Liebe sein. Die Liebe zur Freiheit, die Liebe zur Solidarität und natürlich über die Liebe zu diesem mir so ans Herz gewachsenen Ort.
Ursprünglich hatte ich nur einen 12 tägigen Aufenthalt an meinem von mir so gerne als Happy Place titulierten Ort geplant. Unter uns: gefühlt verweile ich hier immer zu kurz, ob sieben, zehn oder 14 Tage. Mit Freundinnen und Kollegen in Hamburg stand ich im engen Kontakt und als ich hörte, wie sich die (Arbeits-)Situation in der Heimat veränderte, besprach ich mich kurzerhand mit Arbeitsumfeld und Vorgesetzten und beschloss, noch etwas länger an diesem Ort zu bleiben. Sonne, Meer und liebe Menschen lockten zu sehr, um diese Möglichkeit nicht zu ergreifen und stattdessen direkt nach Rückkehr im Homeoffice zu arbeiten.
Am letzten Abend von am kommenden Tag abreisenden Freunden gingen wir noch einmal in recht großer Gruppe essen und beschlossen danach noch in einer Bar den Abend ausklingen zu lassen. Wir hatten zu dem Zeitpunkt gerade erfahren, dass es ab Montagmorgen, 8 Uhr eine Ausgangssperre geben solle; was man sich genau darunter vorstellen könne, war mir zu dem Zeitpunkt nicht klar, hatte ich solches doch noch nie zuvor erlebt.
Kurz vor Mitternacht erschien der Besitzer der Bar am Kickertisch und teilte uns mit, dass wir sofort gehen müssten, man hätte die Sperre vorgezogen und alle Bars und Restaurants hätten sofort zu schließen. Das war schon etwas seltsam, auf Gomera dauern die Abende ohnehin nie besonders lange an, aber dass sie so Hals über Kopf beendet werden, war dann doch eher ungewöhnlich. Am nächsten Morgen hörte ich unter meinem Fenster die Cafés eröffnen, ihre Terrassen mit Sitzmobiliar bestücken und dachte zunächst, dass es dann doch nicht so dramatisch werden könne, wie Einheimische es am Abend zuvor bereits befürchtet hatten. Doch schon kurze Zeit später kam die Guardia Civil (Polizei mit Stellung als Berufssoldaten) und teilte mit, dass man umgehend zu schließen habe.
In diesem Moment bemerkte ich bereits einen Wandel der Stimmung. Nicht dass es falsch verstanden wird: die GC war freundlich, setzte eher darauf, dass man sich den Anweisungen einfach fügte. Am Verbleib der Menschen auf der Promenade und auch am Strand bemerkte man schon, dass viele es nicht so ernst nahmen. Aber was denn auch genau? Wir alle lieben unsere Freiheit und lassen uns dieser nur ungern berauben. Und nun hatte man (die meisten als Urlauber an diesem Ort) über das Internet oder durch Mund zu Mund Verbreitung erfahren, dass man nicht mehr auf die Straße dürfe. Aber warum? Es gab keinen offiziellen Aushang, keine Verlautbarung auf dem zentralen Platz oder ähnliches. Es hieß schlicht, dass das Dekret vom 14. März 2020 fortan verbiete, ohne triftigen Grund auf die Straße zu gehen. Man solle einfach in seiner Unterkunft bleiben. Ob es meiner deutschen Mentalität zuzuschreiben ist oder meiner Begriffsstutzigkeit oder was auch immer, in mir wuchs ein trotziges „aber warum denn?“
Und so kamen wir (alles Alleinreisende) am ersten Abend noch zu dritt bei mir auf dem Balkon zusammen und verbrachten einen geselligen Abend bei Wein und Tapas zusammen. An der Strandpromenade unter meinem Fenster hatte man bereits Absperrungen zum Strand aufgestellt und wir hörten, dass dies an allen Stränden im Valle Gran Rey so gehandhabt wurde. Der Strand wurde polizeilich geräumt, die Menschen aus dem Wasser gepfiffen.
Am nächsten Tag bemerkte ich direkt beim Erwachen, dass sich einiges verändert hatte. Ich ging zum Bäcker und spazierte direkt hinein, da dieser so schön leer war, wurde aber umgehend hinauskomplimentiert und bemerkte erst dann, dass die vermeintlich gesellige Runde direkt vor der Tür die Schlange der Wartenden war. Im Bäcker selbst waren nur noch zwei Personen zugelassen, zum Tresen musste ein Abstand gewahrt werden. Dann sah ich auch die Schlange der Wartenden vor dem Supermarkt. Es machte sich keine Panik breit, ging ich doch davon aus in einem Land wie Spanien nicht zu verhungern, aber dieses Anstehen war schon … mindestens seltsam. Rebellisch wie ich war besprach ich mich mit einem dort lebenden Freund und wir fuhren zu dritt zu einem Supermarkt einen Ort weiter, den man noch ohne Wartezeit problemlos betreten konnte. Wir deckten uns mit handelsüblichen Mengen von Lebensmitteln ein und fuhren wieder nach Hause. Und dort blieben wir dann auch. Inzwischen war es bereits üblich, dass die Polizisten einen auf der Straße ansprachen, wohin man des Weges sei. Auf Gomera-Seiten im Netz las ich von dort lebenden Deutschen, dass sie sich wahnsinnig über das unsolidarische Verhalten der Touristen aufregen würden, weil diese einfach nicht kapierten, dass man einfach zu Hause bleiben solle. Ohne zu hinterfragen, einfach hinnehmen. Zu diesem Zeitpunkt fand in meinem Kopf, also in meinem Denken bereits ein Wandel statt. Hatte sich zunächst alles dagegen gesträubt, solch in meinen Augen sinnloses hinzunehmen, begann ich zu begreifen. Ich musste nicht jede nicht bis zum Ende durchdachte Handlung verstehen und konnte mich trotzdem an das #QuedateEnCasa (Bleib zu Hause) …gewöhnen? Halten? Respektieren.
Dennoch ärgerte es mich, dass man zwar nur in kleinen Gruppen (zunächst waren es nur zwei Personen, dann wurde die Anzahl für den recht übersichtlichen Supermarkt auf 20 erhöht) ein Geschäft gleichzeitig besiedeln durfte, direkt davor aber dicht an dicht zu 40 – 50 Personen anstand. Doch auch hier kam schnell der Ruf nach Abstandeinhaltung. Beim Betreten des Supermarktes musste man die Hände desinfizieren und sich Plastikhandschuhe überziehen. Eine Maßnahme, die es bis heute bei uns noch nicht gibt.
Ich fand mich also mit der Situation ab, dass ich den Rest meiner Zeit dort in Hausarrest verbringen müsse. „Rest der Zeit“ – womit hatte ich denn zu rechnen? Ich telefonierte mit dem Auswärtigen Amt und man riet mir, mich umgehend um einen Rückflug zu kümmern. Dies war bereits zu diesem Zeitpunkt kein leichtes Unterfangen. Viele Flüge ersatzlos gestrichen, ich hatte die Wahl zwischen einem Gabelflug über Madrid (auf gar keinen Fall!!!) oder Dublin (nein, St. Patrick’s Day ohne Pubs? Ohne mich!), beide Angebote preislich im vierstelligen Bereich und jeweils nicht unter einer Reisedauer von 38 Stunden. Ich hakte die Flugsuche an jenem Tag für mich ab, nachdem auch Freunde in Deutschland inzwischen mitsuchten – ich hatte nur mein Handy ohne Wlan, die Airlines waren telefonisch nicht zu erreichen (Spitzenwartezeit von zwei Stunden, dann flog ich aus der Leitung) und zudem brauchte ich nicht nur den Flug von Teneriffa nach Deutschland (wohin dort war mir inzwischen egal), nein, ich benötigte auch erst einmal ein Fährticket von Gomera zur größeren Schwesterinsel mit internationalem Flughafen. Und hier kam ein weiteres Paradoxon zum Tragen. Denn die beiden diese Strecke bedienenden Fährlinien hatten die Frequenz reduziert und nahmen auch nur noch ein Drittel der Passagier mit. Wie sollte ich es nur mit dem Handy ausgestattet bewerkstelligen, gleichzeitig alles aufeinander abgestimmt zu buchen, um am Ende nicht mit einem nicht zu erreichenden Flug auf der Insel bleiben zu müssen oder nur mit einer Fährverbindung auf Teneriffa, wo es die zweitmeisten Erkrankungen der gesamten Kanaren gibt, zu stranden? Und da war sie: die Liebe zur Solidarität. Viele Freunde halfen mir in Hamburg sitzend, einer ganz besonders. Am nächsten Morgen rief er mich in aller Frühe an und verlangte umgehend nach meiner Ausweisnummer. Er habe einen Flug gefunden, auf dem es aber nur noch einen Platz geben würde. Schlaftrunken gab ich die Pass ID durch und erhielt kurz darauf die mich erleichternde und zu Freudentränen rührende Nachricht, dass alles erledigt sei und ich bald nach Hause kommen würde.
Ich bereitete mich also innerlich auf die letzten Tage auf meiner geliebten (!) Insel vor und verfolgte, welche Verschärfungen es tagtäglich gab. Plötzlich hieß es, dass alle Touristen das Land bis zum 25.03.2020 zu verlassen hätten. Wie dies zu bewerkstelligen sei, wenn weder Fähr- noch Flugticket zu bekommen war, war dabei irrelevant – in meinen Augen war es das ohne das „levant“. Auf die Straße traute man sich inzwischen nicht mal mehr für kleinere heimliche Spaziergänge allein (ja, diese Frei… äh, Frechheit habe ich mir tatsächlich mit zurecht gelegten Zielen – Apotheke, Geldautomat, Busbahnhof) einfach herausgenommen. Denn auch diesen Punkt fand und finde ich kritisch. Nicht hinausgehen zu dürfen macht ganz viel mit einem, zwingt Dich, in einer Situation, die für die eine oder andere wahrscheinlich ohnehin schon schwer auszuhalten ist, Dich eingeengt zu fühlen. Ich lege hier tatsächlich mein Augenmerk auf Personen, die es brauchen auch mal nur um den Block gehen zu dürfen. Nicht außer Acht lassen sollte man aber natürlich auch die Familien, die teilweise zu viert mit zwei oder mehr Kindern kleine Apartments bewohnen, spielt sich das Leben doch üblicherweise draußen ab.
Am Abend vor der Abreise erfuhr ich dann, dass es auch nicht mehr erlaubt sei, zu zweit in einem Auto zu fahren. An dieser Stelle reichte es mir dann. Der Bus nach San Sebastian nahm nur noch die Hälfte der Menschen mit, was in Summe immer noch etwa 25 Personen waren. Diese fuhren dann 1,5 Stunden zusammen über die Insel. Mehr Busse wurden nicht eingesetzt, wer nicht mehr mitkam, hatte halt Pech. Man merkt: nein, das hatte für mich mit Logik gar nichts mehr zu tun und so hielt ich an dem Plan, mit einem ebenfalls abreisenden Bekannten am nächsten Morgen in seinem Mietwagen gemeinsam zur Fähre zu fahren, fest. Man muss hier betonen, dass die Polizisten zwar zur Einhaltung der Regeln patrouillierten, nachfragten wohin man des Weges sei und einen des Platzes verwiesen, aber besonders streng sanktioniert wurde es nicht, obwohl die Möglichkeiten der Bestrafung hier bei 500,- € anfingen und schwindelerregende Höhen annahmen. Kurz zusammengefasst, was sich im Laufe dieser wenigen Tage noch alles veränderte: Umzüge sind während der Ausgangssperre nicht gestattet, was eine Freundin in die Bredouille bringt, da sie durch die Schließung der Restaurants keinen Job mehr hat und ihre Wohnung viel zu teuer ist. Den Hund darf man nur noch sehr kurz, in unmittelbarer Umgebung und nur mit Handschuhen Gassi führen und dass man auch keinen Sport machen durfte, egal welcher Art an der frischen Luft, ist wohl obsolet zu erwähnen. Womit ich mich en Detail beschäftigt habe, kann an anderer Stelle erzählt werden.
Auf Teneriffa angekommen wehte dann ein anderer Wind. Aggressive, auf Englisch fluchende Polizisten, die die Leute anschrien wie man sich zu verhalten habe. Am Flughafen dann die Menschenmassen und dass der Flieger natürlich bis auf den letzten Platz ausgebucht war, muss wohl an dieser Stelle nicht erwähnt werden. Umso überraschter war ich, dass es bei der Einreise keinerlei Fragen gab, woher man käme oder zumindest Fieber gemessen wurde oder ähnliches. Problemlos erlangte ich so also wieder deutschen und hamburgischen Boden unter den Füßen.
Ein Teil meines Herzens ist aber mal wieder dort geblieben. Auf dieser wunderschönen, magischen und für mich paradiesischen Insel. Dass die Anreise dorthin etwas beschwerlicher ist als an andere Orte, habe ich immer als Vorteil gesehen, dass die Abreise es mal in diesem Maße werden würde, hätte ich nie geahnt. Nichtsdestotrotz hoffe ich inständig, dass die vom Tourismus lebenden Gomeros diese harte Zeit irgendwie überstehen. Auch wenn ich sie immer liebevoll Bananeninsel nenne, ist von dem Export selbiger allein leider kein Überleben möglich. Auf jeden Fall hat sie mich auch dieses Mal wieder etwas gelehrt, meine Liebe zu ihr nur gestärkt und ich kann es kaum erwarten, wieder bei ihr zu sein. Auch wenn es jetzt bestimmt erst einmal gut ist, wieder hier zu sein. Bestimmt.
Wieder zu Hause – doch alles ist anders
The Girl is back in town (frei nach Thin Lizzy – den Ohrwurm gab es gratis)
Da bin ich wieder. Zurück in Deutschland, zurück in Hamburg und auf St. Pauli nach knapp drei Wochen an meinem mir liebsten Ort, meinem Happy Place, der Insel Gomera. Wie es sich gehört, habe ich natürlich sofort und umgehend daran gearbeitet, mich augenblicklich zu assimilieren, was dieser Tage offenbar nur mit dem Eindecken von ausreichend Nudeln und Klopapier geht. An dieser Stelle danke ich meinem Vergangenheits-Ich, dass ich jenes tatsächlich bereits vor meinem Urlaub in meine Höhle geschleppt hatte. Die Sammlerin kann man mir also auf gar keinen Fall absprechen.
Aus dem Spanien-Aufenthalt bringe ich übrigens auch hard skills mit: ich weiß, wie man zu Hause bleibt. Auch, wenn man das Meer direkt vor der Tür hat, einen Landschaften ganz besonderer Art hinauslocken und das Wetter ohnehin ununterbrochen meinen Namen ruft. Gerade als Hamburgerin liegt es einem ja im Blut, jeden noch so kleinen Sonnenstrahl ausnutzen zu wollen, nein sogar zu müssen – am Ende bleibt man an einem Sonnentag in der Bude und das war er dann: der Hamburger Sommer! Nix mit „ich war dabei!“ und wir alle wissen, dass das doch inzwischen das wichtigste ist.
Zurück nach Spanien: ich hatte ob der prekärer werdenden Lage in Deutschland gerade beschlossen, meinen Aufenthalt in meinem Paradies zu verlängern, als sich die Situation dort auch ziemlich rasch änderte. Dazu an anderer Stelle gerne ausführlich mehr, im Fazit hieß dies: sofortiger Hausarrest. Aber, aber… ich war doch noch gar nicht fertig mit Spaß haben und Sonne genießen und richtig Body Boarding lernen und meine Lieblingsrestaurants hatte ich auch noch gar nicht alle besucht. Und ist Mama nicht ohnehin die einzige, die mir Hausarrest erteilen darf? Nee, leider nicht. Hausarrest bedeutet übrigens, dass man sich draußen nur mit triftigem Grund bewegen darf. Arzt- oder Apothekenbesuch, Lebensmittel einkaufen, in die Heimat reisen.
Seit gestern Abend bin ich wieder zurück in der Heimat. Es war ein beklemmendes Gefühl, am Abend gegen 22 Uhr zurück nach St. Pauli zu kommen und…. Stille. Leere. Nichts. Wenig Menschen, kaum Lichter, vereinzelt Fahrzeuge. Natürlich hatte ich davon auch auf meiner Bananeninsel mitbekommen, aber es zu sehen war schmerzlich. Mein erster Gedanke galt den Gastronomen und Kulturschaffenden. Dies zu überleben, in ein paar Wochen hoffentlich wieder aufmachen zu können, nicht an dieser Pandemie zu Grunde zu gehen.
Den ersten Abend verbrachte ich also brav zu Hause, hätte ich ohnehin, daher war in den eigenen vier Wänden noch keine Veränderung spürbar. Außer vielleicht, dass man extrem früh aufwacht an einem Sonntag, wenn man am Samstagabend kein Wiedersehen mit Freundinnen da draußen gefeiert hat. Heute Morgen fragte ich dann (per elektronischer Nachricht!) die Nachbarn, ob sie auch etwas vom Bäcker bräuchten. Ich weiß nicht, ob die Vorkehrungen die der Kiezbäcker St. Pauli getroffen hat hier schon länger gelten – aus Spanien kenne ich es nur so: nur zwei Personen gleichzeitig im Laden, Absperrung zur Theke, Schilder mir der Bitte Abstand zu wahren. Brötchen für alle habe ich bekommen und dann wieder zurück über den leeren Kiez in meine Höhle getragen und sicher vor Türen abgelegt. So musste nur eine Person nach draußen und nicht mehrere.
Den sonnigen Tag drinnen zu verbringen, fand ich nicht besonders schlimm. Wäsche waschen, Musik hören, meiner Mutter danken, dass sie mir nie beigebracht hat, wie man für eine Person kocht, was eine gut gefüllte Tiefkühltruhe mit sich bringt (nochmal dank an mein Vergangenheits-Ich, dass ich in letzter Zeit so viel eingefroren habe!). Und dann kam mein Lieblingsmoment, mein Highlight des Tages. Der Sonnenuntergang! Verbinde ich diesen auf Gomera zwingend mit den Trommlern am Strand und einer Herz erwärmenden, sehnsüchtigen Stimmung, bedeutet es hier: ich kann laufen gehen! Etwas was mir die letzten Tage verboten war. Was aber so wichtig für mich ist. Sich zu bewegen und sich die kalte Luft um die Nase wehen zu lassen. Zu einer Zeit zu der man sicher sein kann, dass sich nur noch wenige Menschen draußen befinden, so dass man niemanden gefährdet. Das ist ein Privileg, wie ich in der letzten Woche gelernt habe, das nicht zu unterschätzen ist. Derweil hat unsere Bundeskanzlerin bekannt gegeben, dass auch hierzulande nun strengere Auflagen gelten. Die Freiheit spazieren und laufen zu gehen, wurde uns glücklicherweise nicht genommen. Das ist ein hohes Gut und großes Glück!
Zu solchen Zeiten sollte man soziale Netzwerke wahrscheinlich am besten meiden, was mir aber gewiss nicht gelingt. Dennoch begreife ich es nicht, dass weiterhin nach einer resoluteren Ausgangssperre mit harten Sanktionen geschrien wird. Sind die Auflagen für viele immer noch zu dehnbar? Was wurde denn aus „Erziehung zur Mündigkeit“? Mensch, wach doch bitte auf! Besinne Dich!
Ich sitze hier und mache mir Gedanken, trinke Tee, lese, werde früh zu Bett gehen und hoffentlich wieder mehr schreiben. Irgendetwas Gutes muss man der aktuellen Situation ja abgewinnen. Bleibt gesund!
Über die Liebe… zur Kommunalpolitik
Drei Monate ist es nun her, dass ich aus einem ganz fantastischen Urlaub auf meiner Lieblings-Hippie-Insel in bester Gesellschaft zurückgekommen bin; hochmotiviert, voller Tatendrang diesen Blog wieder aufleben zu lassen und nur so vor Energie sprühend, gefüllt mit Ideen, im Strudel der Kreativität. Und dann überschlugen sich die Ereignisse.
Doch der Reihe nach. Kurz nach meiner Rückkehr in heimische Gefilde hatte ich endlich die Gelegenheit, für meine Fraktion einen Antrag in den Hauptausschuss der Bezirksversammlung einzubringen, dessen Inhalt mir tatsächlich schon seit Jahren unter den Nägeln brannte. Darin geht es um die Prüfung einer Sanierung oder vielmehr Instandsetzung des westlichen Teils der Reeperbahn. Wer die Strecke zwischen Millerntorplatz bis zur Hein-Hoyer-Straße kennt, weiß, dass der dann noch kommende Abschnitt bis zum Nobistor sich von diesem komplett abhebt. Denn auf letzterem kann man an einigen Stellen mit Kinderwagen oder Rollstuhl ob fehlender Breite kaum passieren, die Gehwegplatten stehen an diversen Stellen hoch, Fahrradleichen versperren Ständer, die man gerne nutzen würde und so weiter und so fort. In meinen Augen ein schlüssiger Schritt: die Verwaltung prüfen zu lassen, wie man hier verbessern und ertüchtigen kann. Haben ja alle Anwohnerinnen etwas von – so mein Gedanke dahinter, mich für den Antrag stark zu machen.
Was dann folgte? Neudeutsch: Shitstorm. Ich wolle das Viertel gentrifizieren. Solle doch lieber nach Eppendorf ziehen (but why?! Bestimmt auch ein netter Stadtteil, aber echt nicht meiner!) Auch schön: „Die Schnalle mit der St. Pauli-Schnalle“ (Gürtel), die ich übrigens immer zu Hosen trage, nicht nur an Spieltagen, nicht nur für Fotos, sondern auch bei parlamentarischen Sitzungen, Empfängen, Geburtstagen, Hochzeiten – ach, nee, bei letzterem Anlass eher selten in Hosen anzutreffen. Die Beleidigungen mal außen vor lassend, war es für mich tatsächlich eine neue Erfahrung. In Wahrheit eine, die ich gerne nicht gemacht hätte.
Aber es gab auch die andere Seite. FreundInnen und NachbarInnen, die mich anschrieben, ich solle das bloß nicht an mich ranlassen, man wisse, wer ich sei und verteidige mich vor Stänkern. Ein schönes Gefühl diese Unterstützung zu erfahren. Nicht, dass mich ein paar Hasskommentare aus der Bahn werfen oder abhalten würden. Dafür macht mir die Kommunalpolitik viel zu viel Spaß.
„Spaß“? Ja, genau das. Wenn FreundInnen mich fragen, was ich am Abend nach der Arbeit noch mache, ob ich Zeit hätte gemeinsam etwas zu unternehmen, lautet meine Antwort nicht selten „Leider keine Zeit. Ausschusssitzung.“ Oft bekomme ich dann ein „Viel Spaß!“ zu hören. Darüber musste ich in der Vergangenheit häufig schmunzeln. Und deswegen begann ich es zu hinterfragen. Wie kommen meine FreundInnen dazu, mir viel Spaß zu wünschen, wenn ich des Abends noch im Bau-, City- oder Stadtentwicklungsausschuss tage oder einer Beiratssitzung beiwohne, statt mich mit ihnen zu treffen um ins Kino, Theater oder essen zu gehen? Wahrscheinlich weil sie mich manches Mal besser kennen als ich annehme. Ja, solche Sitzungen gehen gerne mal bis tief in den Abend und mein Bett und ich führen im Grunde genommen eine Fernbeziehung und sehen uns unter der Woche immer nur für ein paar Stunden. Aber ernsthaft: das was ich dort im Bezirksamt tagend tue, ist genau das, was ich so mag! Ich finde es spannend zu erfahren und maßgeblich mitentscheiden zu können, was in unseren Vierteln so passiert. Darauf zu achten, dass Strukturen erhalten bleiben, ohne Neues komplett verhindern zu wollen. Den Wohnungsbau – wohlgemerkt bezahlbaren Wohnraum – weiterhin im Fokus zu behalten und Bauherren nicht vollkommen frei drehen zu lassen, auch wenn ein Hotelbau für diese durchaus lukrativer ist. Ich mag es im Quartiersbeirat zu hören, was AnwohnerInnen für Wünsche haben, dass sich Gedanken gemacht werden, z.B. um die (Um-)benennung einer Straße. Dass sich darüber ausgetauscht, diskutiert, geeinigt wird. KeineR sitzt dort, weil man muss oder Geld dafür bekommt, sondern weil man für eine Sache brennt, weil man Lust hat auf Mitgestaltung, auf Mitentscheidung! Wie geil ist das denn?
Insofern haben meine Leute nur allzu Recht, wenn sie mir „viel Spaß!“ vor solchen Abenden wünschen. Ja, es macht mir Spaß. Auch, wenn dadurch so manch Privates auf der Strecke bleibt, bin ich weiterhin mit Leidenschaft dabei und engagiere mich für Hamburg-Mitte.
Eingangs schrieb ich es schon: dieser Blog sollte wieder richtig belebt und regelmäßig befeuert werden. Doch dann kam erst einmal eine etwas stressige Zeit. Weniger wegen des Hobbys, sondern mehr des Berufes wegen. Mein Kreis, die SPD Hamburg-Mitte hatte sich auf die Fahnen geschrieben, alle Kandidatinnen und Kandidaten für die Bezirksversammlungswahl am 26. Mai 2019 noch in diesem Jahr aufzustellen; auch um zu zeigen, wie wichtig eine gute Kommunalpolitik ist. Ich selbst kandidiere ebenfalls erneut – aus oben beschriebenen Gründen. Im meinem Wahlkreis 1 Altstadt, Neustadt, St. Pauli, HafenCity auf Platz 2 und auf der Bezirksliste und somit in ganz Hamburg-Mitte wählbar ebenfalls auf Platz 2. Über die Aufstellungen habe ich mich natürlich maßlos gefreut, hoffe ich doch, dass diese Liebe so noch ein wenig länger ausgelebt werden kann.
Jetzt kommen aber erst einmal ein paar ruhige Feiertage, in denen ich tatsächlich etwas Besinnlichkeit lebe, durchatme und dann wieder frisch ins neue Jahr starte. 2019 beginnt also mit Wahlkampf und ob Ihr es glaubt oder nicht: auch darauf habe ich richtig Bock! Jetzt aber: frohe Weihnachten und guten Rutsch in ein fantastisches 2019!
(Das Beitragsfoto ist übrigens von einer lieben Freundin aus Spanien zur Verfügung gestellt, die trotz der uns trennenden Kilometer immer hier ist! Silke )
Quiddje? Denkste! Schau‘ mal hier!
Seit Monaten schaue ich von einem meiner Lieblingsplätze nach Feierabend – bei gutem Wetter gibt es kaum einen besseren Ort als den blauen Bar-Container von John und seiner Crew auf dem Spielbudenplatz – auf einen weiteren, gegenüberliegenden Kasten und fragte mich, was es mit diesem auf sich haben könnte. Dank der Teilnahme an der Beiratssitzung des Spielbudenplatzes am vergangenen Montag, muss ich nun nicht mehr rätseln, sondern wurde aufgeklärt.
„QUIDDJE“ prangt über dem Container, der im Stil an die anderen auf dem Platz angelehnt ist, aber nicht leuchtend bunt, sondern dezent in schwarz daherkommt. Hm, „Quiddje“ also. Jeder Hamburgerin und jedem Hamburger ist dies natürlich ein Begriff, das sind die Zugezogenen, die, die nicht aus der Stadt sind. Die Typographie des „Q“ selbst ist in einem Stil, der mich an eine Automobilmarke mit sehr kleinen Fahrzeugen erinnert, kein Wunder also, dass ich dem Ganzen bisher nicht wirklich viel Bedeutung beigemessen habe, konnte es sich doch nur um etwas Saisonales für BesucherInnen unserer Stadt handeln, vielleicht ein Aktionscontainer oder Ähnliches.
Doch weit gefehlt! Meines Erachtens nach, haben wir hier so etwas Wertvolles in der Mitte unseres Dorfplatzes, dass ich Euch davon berichten möchte. New York hat am Broadway gleich mehrere. London ebenfalls. Ha! Und wir jetzt auch. Denn beim Quiddje-Container handelt es sich um einen Last-Minute-Ticket-Verkauf für Theater, Musicals und Konzerte. (Ok, zugegeben, der Untertitel „Hamburg Last Minute“ hätte einen Hinweis geben können, löste bei mir jedoch nur weitere Assoziationen zu Stadtführungen oder Ähnlichem aus) Hier kann nicht nur auf die Restkontingente der Häuser, die auf St. Pauli beheimatet sind, zugegriffen werden, nein, mit dabei sind Kulturstätten und Theater der gesamten Stadt (Theaterschiff, Winterhuder Fährhaus, English Theatre uvm.).
Als ich mich gestern spontan bei den Jungs und Mädels dort über das Konzept informierte, hätte ich direkt ein Ticket für eine der letzten Vorstellungen des laufenden und am Sonntag scheidenden Musicalstückes im Operettenhaus bekommen können und zwar zu 50% des Originalpreises. Zugegeben: am gestrigen Abend war mir das nun etwas zu spontan, aber generell möchte ich diese Möglichkeit doch jeder und jedem ans Herz legen.
Warum ich das mache? Ich habe mir mal die Facebookseite von Quiddje angeschaut und dort tummeln sich bisher erst knapp 400 Interessierte (Stand 27.09.2018) darunter aus meinem Bekanntenkreis gerade mal fünf. Scheinbar bin ich also nicht allein mit meiner Unkenntnis über dieses, in meinen Augen, großartige Angebot! Und da sich die Freiluftsaison auf dem Spielbudenplatz nun ohnehin rasant dem Ende neigt, lasst uns doch einfach alle mehr den Kulturbereich fördern. Der Container wird dort weiterhin aufgestellt bleiben. Schaut mal vorbei und sagt es BesucherInnen unserer Stadt, auf dass die Theater- und Veranstaltungssäle Hamburgs gut gefüllt sind und weiterhin ihre wertvolle Arbeit machen können.
____________________________
Quiddje-Container
Last Minute Tickets für Hamburg
Spielbudenplatz/ vor dem Klubhaus
Öffnungszeiten täglich 10-20 Uhr
Da ist sie wieder!
Alles neu macht der Mai, na gut, manchmal eben auch der September. Wer sich in den letzten Tagen, Wochen, Monaten, ok, ok, es sind bereits Jahre, auf diese Seite verlaufen hat, dem wird nicht entgangen sein, dass sich hier seit geraumer Zeit wenig verändert hat. Ins Leben gerufen habe ich sie damals, als ich in einer Internetagentur arbeitete und am eigenen Beispiel lernen sollte oder vielmehr durfte, wie so eine Seite programmiert wird (das war die Homepgae 1.0, wenn Du diese nie gesehen hast, kann ich Dich dazu nur beglückwünschen, Du hast nichts, aber auch gar nichts verpasst). Mit einem WordPress Template geht das alles natürlich wesentlich komfortabler und eine zeitlang hatte ich auch Spaß daran, aber zugegeben, bloggen war mir einfach nicht so wirklich in Fleisch und Blut übergegangen und so lag die Seite lange Zeit brach.
Wie komme ich nun dazu sie jetzt wiederzubeleben? Tatsächlich bemerkte ich bei meinem letzten Urlaub – er ging nach La Gomera, aber dazu später mehr – wie sehr es mir fehlt zu schreiben. In diesem Urlaub führten wir zu zweit ein Reisetagebuch, um uns in der kalten Jahreszeit an die schönen, warmen Stunden im Süden erinnern zu können. Es ist eines aus Papier, in das wir täglich unsere Erlebnisse hineinschrieben. Auf der Reise lernten wir zwei ganz fantastische Menschen kennen und da Sabine auch einen Blog hat, erinnerte ich mich wieder an meine Seite und sagte mir, hey, warum belebst Du die eigentlich nicht wieder?
Natürlich bewege ich mich auch in den sozialen Netzwerken wie Facebook und Instagram. Auch Snapchat war einige Jahre eine Art visuelles Tagebuch für mich, wird aber inzwischen nicht mehr genutzt, da es einfach zu zeitintensiv ist. Bei Instagram fehlen mir die (längeren) Texte zu den Fotos, die ich dort allerdings sehr gerne poste. So lag die Lösung klar auf der Hand: ich hole die alte Dame (immerhin gibt es diese Seite seit sage und schreibe acht Jahren) aus der Versenkung und bespiele sie wieder ein wenig.
In der Beschreibung zu mir bekommt man bereits einen Eindruck, um welche Inhalte es hier gehen könnte. Letztendlich will ich mich da aber auch gar nicht so festlegen, denn ich glaube, dass genau das mich damals gehemmt hat, hier zu schreiben. Es wird bestimmt um Politik gehen, um Urlaube und das Reisen an sich, gewiss auch ums Essen, denn auch das ist eine meiner großen Leidenschaften. Vielleicht auch ein wenig Sport (mit Laufen, Yoga und Kraftsport versuche ich den Ausgleich zur sitzenden Tätigkeit zu finden), ganz bestimmt um Literatur und Kultur und um meinen geliebten Strebergarten, ja, ich bin Laubenpieperin. Und begleitet werden die Themen hier mit Sicherheit von Fotos. Denn davon mache ich im Alltag reichlich, warum also nicht teilen. Sharing is caring, oder?
St. Pauli pinkelt zurück!
Immer wieder muss man sich als Bewohner_In unseres schönen Stadtteils anhören, dass man es doch so gewollt habe, als man herzog. Dass St. Pauli eben Halligalli und laut und dreckig sei. Moment. Halligalli? Ja, klar. Hier wird eben viel gefeiert und das ist auch gut so. Man kann mitmachen, muss es aber nicht. Das ist gewollt, das ist toll, das lieben wir. Laut? Auch das ist bedingt so. Neben einen Live-Music-Club zu ziehen und sich dann über Konzerte zu beschweren; das würde wohl kaum jemanden einfallen. Auch dass unsere Theater, Bars, Kneipen und Diskotheken gut besucht sind und Menschen Freudenschreie entlocken, bringt St. Pauli mit sich – korrekt.
Aber dreckig? Woher kommt denn der Dreck? Gibt man am Beginn der Reeperbahn seine Manieren ab und benimmt sich wie die Axt im Walde? Und beinhaltet dies dann auch, jeden Fleck unseres Stadtteils als öffentliches WC benutzen zu dürfen? Nein. Wer käme denn auf die Idee, an einem Sonntagnachmittag durch Eppendorf zu schlendern und seine Notdurft einfach mal so vor einem der Cafés zu verrichten? Oder sich gar in den Hauseingang eines Kinderladens in Winterhude zu hocken, um dem Drang der Entleerung der Harnblase nachzukommen?
Auf St. Pauli ist es nicht anders: Wir leben hier. Wir mögen auch nicht gerne über Pippipfützen zu unseren Rädern springen, um zur Arbeit zu fahren. Wir hätten gerne den Duft frischer Brötchen in der Nase, wenn wir zum Kiezbäcker gehen und nicht den beißenden Uringestank. Bitte, liebe Besucher: Benutzt doch die öffentlichen Toiletten oder fragt in einer der Kneipen, Bars, Theater, Museen oder Imbisse nach – davon haben wir hier nämlich jede Menge.
Denn wer sich nicht daran hält, dem sei gesagt: ab jetzt wird zurückgepinkelt!
Presseberichte zur Seilbahn auf St. Pauli
Einige Monate ist es nun her, dass der Bürgerentscheid für eine Seilbahn negativ (für uns Gegner positiv) ausging. Am 24. August 2014 stimmten die Bürgerinnen und Bürger von Hamburg-Mitte darüber ab, ob eine Seilbahn von der Glacischaussee rüber zu den Musical-Zelten auf Steinwerder gebaut werden soll. Mit ganz viel Engagement von Anwohnerinnen und Anwohnern ist es gelungen, die Stimmberechtigten darüber aufzuklären, was hier eigentlich versucht wurde: Ein Konzernbegehren durch Missbrauch eines demokratischen Mitbestimmungsinstrumentes, dem Bürgerentscheid, durchzusetzen.
Entgegen der Meinung böser Zungen, die sich am liebsten anonym in irgendwelchen Kommentaren zu Wort melden, bestand die Gruppe der Seilbahn-Gegner aus einer kunterbunten Mischung. Engagierte Anwohnerinnen und Anwohner und ja, auch politische Gruppen zeigten klar, dass sie gegen die Seilbahn an dieser Stelle waren/ sind. Doch um es klar zustellen: Wir hatten kein großes Budget oder gar eine Agentur im Rücken, um über diese Seilbahn aufzuklären. Unsere ersten Flyer entstanden an heimischen Computern, wurden am hauseigenen Drucker vervielfältigt und per Hand geschnitten und verteilt. Wir stellten eine Podiumsdiskussion mit dem Bezirksamtsleiter auf die Beine, suchten das Gespräch mit allen Abstimmungsberechtigten zwischen St. Pauli und Billstedt und bis nach Wilhelmsburg. Und das alles, weil wir der festen Überzeugung sind, dass diese Seilbahn in dieser Form nicht sein darf. Umso größer ist die bis heute anhaltende Freude darüber, dass dieses von uns als Musical-Seilbahn titulierte Fahrgeschäft nicht gebaut wird.
Wie man weiß, ist nichts so alt wie die Zeitung von gestern. Damit die Berichte, die irgendwann nicht mehr online einzusehen sein werden, nicht verloren gehen, kommt hier eine nicht vollständige Sammlung über die Berichterstattung:
09. Februar 2014, Hamburger Abendblatt:
Befürworter und Gegner ringen um Seilbahn-Projekt
Mit der Seilbahn über die Elbe – Befürworter und Gegner des Projekts gehen verstärkt in die Offensive und sammelten am Wochenende fleißig Unterschriften.
Hamburg. Der Vorschlag erhitzt weiterhin die Gemüter: Gegner und Befürworter der geplanten Seilbahn, die von der Glacischaussee über die Elbe zu den Musicaltheatern auf Steinwerder führen soll, gehen verstärkt in die Offensive.
Die Bürgerinitiative „Hamburger Seilbahn – Ich bin dafür“ hat nach eigenen Angaben bereits mehr als 4000 Unterschriften gesammelt. Für das von der Initiative geforderte Bürgerbegehren werden bis Ende März rund 6000 Unterschriften benötigt. Auch am Wochenende warb Joachim Stratenschulte, geschäftsführender Vorstand der Stiftung Rickmer Rickmers, auf St. Pauli für das Vorhaben.
Doch auch die Gegner des Projekts machen nun verstärkt Mobil. So sammelten am Wochenende Mitglieder der SPD St.Pauli Süd Unterschriften gegen die geplante Seilbahn. „Wir wollen rund 1000 Unterschriften sammeln, um damit ein Zeichen zu setzen“, sagte Sabrina Hirche , SPD-Kandidatin für Bezirksversammlung. „Eine solche Seilbahn passt nicht nach St. Pauli, weil sie lediglich eine Touristenattraktion und kein öffentliches Verkehrsmittel ist.“
Anwohner befürchten demnach, dass die Veränderung St. Paulis zugunsten des Tourismus noch weiter zunehmen und das Hafenpanorama grundlegend verändert werde. „Die Menschen auf St. Pauli, die bereits Events wie Schlagermove, Hafengeburtstag oder Eurovisionsongcontest gastfreundlich beherbergen, wollen dieses Projekt nicht“, sagte Hirche. „Irgendwann ist auch mal gut.“
Auch die Bezirksversammlung Mitte steht dem geplanten Seilbahn-Vorhaben ablehnend gegenüber. Befürwortet wird der von Tourismusverband und Stage Entertainment geschmiedete Plan von der Handelskammer, der Interessengemeinschaft St. Pauli, der Jungen Union und weiteren Unterstützern des Bürgerbegehrens.
Die 1450 Meter lange Seilbahn soll in mindestens 80 Meter Höhe über die Elbe führen. Die Kosten von 40 Millionen Euro tragen das Musicalunternehmen Stage und der Seilbahnhersteller Doppelmayr – ebenso wie den Rückbau des zunächst auf zehn Jahre angelegten Projekts.
20. Juni 2014, ndr.de:
Bürgerentscheid über Seilbahn im August
In der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte hat am Donnerstagabend eine deutliche Mehrheit von SPD, Grünen, Linken und Piraten das Bürgerbegehren für eine Seilbahn im Stadtteil St. Pauli abgelehnt. Damit kommt es am 24. August im Bezirk zu einem Bürgerentscheid für oder gegen eine Seilbahn über die Elbe, wie NDR 90,3 berichtete. Dabei entscheidet dann unabhängig von der Wahlbeteiligung die Mehrheit.
Die Fronten und Mehrheitsverhältnisse waren dem Bericht zufolge schon vor der Abstimmung klar. Die CDU und die neu im Bezirksparlament vertretene AfD sind für die Seilbahn – die große Mehrheit mit 36 von 51 Stimmen dagegen. Die Einwände der Gegner: Die Seilbahn nütze nur dem Musicalbetreiber sowie dem Seilbahnhersteller und überlaste die jetzt schon stark beanspruchten Anwohner in den angrenzenden Vierteln. Zudem unterstellten die Grünen, Linken und Piraten der Initiative „Hamburger Seilbahn – Ich bin dafür!“ im Auftrag der Investoren zu handeln.
Diese Behauptung wies der Sprecher der Initiative, Thomas Margold, vor den Bezirksparlamentariern zurück. Er und seine Mitstreiter seien unabhängig und persönlich davon überzeugt, dass die Seilbahn Hamburg nütze. Jetzt können sich die Bürger im Bezirk Mitte im August für oder gegen die Seilbahn entscheiden.
Seit Jahren kontroverse Diskussionen
Die Pläne für eine Seilbahn-Verbindung über die Elbe gibt es schon seit 2011. Doch ebenso lange dauern auch schon die kontroversen Diskussionen. Der Startpunkt soll an der Glacischaussee sein. Ziel ist das „König der Löwen“-Musicalzelt und das benachbarte neue Theater, in dem von November an „Das Wunder von Bern“ gezeigt wird. Das Musicalunternehmen Stage Entertainment und Seilbahnbauer Doppelmayr wollen den Bau finanzieren und die Bahn auch betreiben. Der Bau der Seilbahn soll etwa 35 Millionen Euro kosten.
05. August 2014, Hamburger Abendblatt:
Werbung für Seilbahn mit falschem Versprechen?
In Wilhelmsburg heißt es auf Plakaten „Künftig schweben wir zum Dom“. Gondeln sind aber nur zwischen St. Pauli und Steinwerder geplant. Die SPD startet eine Aktion gegen das Projekt.
St. Pauli/Wilhelmsburg. Sollen die Bewohner von Hamburg-Mitte mit falschen Versprechungen dazu gebracht werden, beim Bürgerentscheid am 24. August für eine Seilbahn über die Elbe zu stimmen? In Wilhelmsburg sind Plakate aufgestellt worden, die eine solche Vermutung nahelegen. Über dem Bild einer Familie mit Migrationshintergrund prangt der Slogan: „Künftig schweben wir zum Dom“.
Das ärgert Anja Keuchel (SPD): „Die Initiative will die Wilhelmsburger ganz offensichtlich für dumm verkaufen“, sagt die Politikerin von der Elbinsel. „Die Seilbahn würde von Steinwerder abfahren. Das liegt vom Reiherstiegviertel aber drei Kilometer entfernt.“ Neben der versprochenen Zehn-Millionen-Spende und dem Verteilen von Seilbahn-Freikarten (wir berichteten) sei der Slogan eine weitere unlautere Methode, die Menschen im Bezirk zu beeinflussen. Auch Michael Osterburg, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bezirk Hamburg-Mitte, kritisiert das Vorgehen der Initiative: „Ein Bürgerbegehren ist immer eine sportliche Sache“, sagt er. „Wer die besseren Argumente hat, der überzeugt.“ Die Seilbahnbefürworter versuchten jedoch, die Menschen „mit Bestechung und falschen Versprechungen auf ihre Seite zu ziehen“. „Die Seilbahn ist kein Verkehrsmittel, sondern eine touristische Attraktion“, so Osterburg. „Die Bürger werden nicht ernst genommen, sondern veräppelt.“
Wolfgang Raike, der die Seilbahn-Pressearbeit macht, gibt zu: „Natürlich können die Wilhelmsburger nicht direkt zum Dom schweben.“ Aber sie könnten ja mit dem Bus nach Steinwerder fahren oder ihre Autos auf dem Parkplatz des Musicalkonzerns Stage Entertainment abstellen und dann in die Seilbahn steigen. Noch aber liege die Bushaltestelle knapp einen Kilometer von der geplanten Seilbahnstation entfernt, räumt er ein. Der HVV müsse also erst einmal nachbessern. Dennoch kann Raike die Aufregung nicht verstehen. „Kommunikation ist in der Werbung immer verkürzt.“ In ganz Hamburg-Mitte ständen Plakate mit verschiedenen Aussagen: „Ich will Hamburg von oben sehen“, heißt es da, „Wir fahren zum Festival“ oder „Unsere Radtour beginnt mit der Seilbahn“.
Wenn es nach den Initiatoren ginge, könnte die Seilbahn langfristig auch bis nach Wilhelmsburg verlängert werden, sagt Raike. Auch das stößt bei Anja Keuchel auf Kritik. „Den Menschen hier zu suggerieren, die Seilbahn sei ein neues Verkehrsmittel für sie, ist unlauter“, so Keuchel. „Sie würde über Hafengebiet führen, was verboten ist.“
Hintergrund für das Bestreben, eine Seilbahn zu bauen, sei vielmehr, dass das Musicalunternehmen Stage Entertainment ein eigenes Verkehrsmittel haben wolle. „Das Geld, das sie der Hadag zahlen müssen, weil die das Musicaltheater mit dem Schiff anfährt, wollen sie selber verdienen.“ Durch die Seilbahn und den Wegfall der Fahrgäste würde das städtische Unternehmen geschwächt – die Wilhelmsburger aber seien wegen der Fähranbindung ihres Stadtteils an einer starken Hadag interessiert. Unterdessen startet die SPD- Bezirksfraktion in Mitte eine eigene Kampagne unter dem Motto „Ein großes NEIN zur Seilbahn“: Auftakt ist an diesem Mittwoch um 18 Uhr auf dem Spielbudenplatz. Dort wollen dann Bezirksabgeordnete und Sabrina Hirche, Initiatorin der Initiative „Keine Seilbahn von St. Pauli über die Elbe“, die Aktion vorstellen.
Bis zur endgültigen Entscheidung am 24. August, wollen die Gegner an Infoständen im Bezirk Mitte für ihr Anliegen werben. Außerdem sollen Plakate aufgestellt und Flyer verteilt werden. Die Kosten für die Kampagne liegen laut SPD-Fraktionschef Falko Droßmann bei rund 2000 Euro und werden aus Fraktionsmitteln finanziert: „Wir haben uns zu dieser Kampagne entschlossen, weil wir uns klar gegen die Seilbahn zwischen St. Pauli und Steinwerder aussprechen. Wir benötigen diesen Musicalzubringer nicht.“ Außerdem brauche St. Pauli nicht eine weitere „Pseudoattraktion“, die noch mehr Touristen anlocke, so Droßmann weiter. Am 24. August sind mehr als 200.000 Wahlberechtigte im Bezirk Mitte aufgerufen, über die Seilbahn zu entscheiden.
05. August 2014, shz.de:
Seilbahn-Planer wollen zehn Millionen Euro spenden
Zehn Millionen Euro für den Hamburger Stadtteil St. Pauli: Wollen die Investoren des Projekts über der Elbe die Stimmen der Hamburger Bürger kaufen?
Hamburg | Die einen sehen ein „unmoralisches Angebot“. Die anderen loben das soziale Engagement zum Wohle St. Paulis: Stage Entertainment und der österreichische Hersteller Doppelmayr haben dem Stadtteil eine Spende von bis zu zehn Millionen Euro versprochen, sollten sie ihre geplante Seilbahn über die Elbe bauen dürfen. Die Bürger im Bezirk Mitte entscheiden bis zum 25. August per direkter Demokratie darüber, ob es die Gondelverbindung von St. Pauli zu den Musicaltheatern auf Steinwerder geben wird.
Zeitgleich mit der Versendung der Abstimmungsunterlagen an etwa 200.000 Wahlbürger haben der Musicalkonzern Stage und Doppelmayr zugesagt, nicht nur die Baukosten von 35 Millionen Euro zu tragen, sondern auch 50 Cent pro Fahrgast für gemeinnützige Zwecke an den Bezirk zu überweisen. Für die geplante Betriebsdauer von zehn Jahren kommen die Seilbahn-Bauer auf eine Summe von rund zehn Millionen Euro. Der Betrag sei als Ausgleich für die Nutzung des öffentlichen Raumes durch das umstrittene Verkehrsmittel gedacht, so die spendablen Investoren. Der Bezirk Mitte weist das Angebot entschieden zurück. Eine Sprecherin sagte, die Annahme des Geldes würde gegen die „Rahmenrichtlinie über Sponsoring, Spenden und mäzenatische Schenkungen für die Verwaltung der Freien und Hansestadt Hamburg“ verstoßen. Bezirksamtschef Andy Grote (SPD), prominentester politischer Gegner der Seilbahn: „Das Vertrauen in die Unabhängigkeit von Verwaltungshandeln ist ein hohes Gut. Es darf nicht der geringste Anschein entstehen, dass man in Hamburg durch ausreichend hohe Spenden Verwaltungsentscheidungen zu seinen Gunsten herbeiführen kann.“
Dennoch lässt Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) die Millionenspende von seinen Juristen noch prüfen. Aus seiner Behörde heißt es, die Experten sähen bisher keinerlei Hinweise auf einen Bestechungsversuch. Das endgültige Ergebnis der Prüfung will Tschentscher jedoch erst heute vorlegen.
Die Seilbahn-Befürworter wehren sich gegen den Vorwurf, sich ein positives Bürgervotum erkaufen zu wollen. Doppelmayr-Sprecher Ekkehard Assmann: „Der Vorschlag steht in keiner Weise in einem zeitlichen oder inhaltlichen Zusammenhang mit dem Bürgerentscheid.“ Stage Entertainment und Doppelmayr hätten das Spendenangebot bereits 2011 unterbreitet, als sie erstmals Pläne für eine Elbe-Bahn vorgelegt haben. Bei diesem Angebot bleibe es. Nun müsse der Bezirk entscheiden, ob er die Spende annehme oder nicht.
Der Ausgang des Bürgerentscheids gilt als offen. In Umfragen hatte es zuletzt eine knappe Mehrheit zugunsten der Seilbahn gegeben. Die Befürworter hoffen auf eine zusätzliche Touristenattraktion sowie auf ein alternatives Verkehrsmittel und verweisen auf die komplett private Finanzierung. Die Projektgegner befürchten eine Überlastung des bereits unter Besuchermassen ächzenden St. Pauli, Stadtplaner eine Verschandelung der Silhouette am Elbufer. Der SPD-Senat hatte die Entscheidung dem Bezirk überlassen, in dessen politischen Gremien sich keine Mehrheit für die Seilbahn gefunden hatte. Hinter der Pro-Bürgerinitiative stehen unter anderem die CDU-Bundestagsabgeordnete Herlind Gundelach und der ehemalige Chef des Hamburger Tourismusverbandes, Thomas Magold. Auch die einflussreiche Handelskammer rührt die Werbetrommel für die Gondelstrecke.
11. August 2014, Hamburger Abendblatt:
Seilbahn über die Elbe – Fluch oder Segen für Hamburg?
Vor dem Bürgerentscheid am 24. August: Das Abendblatt lud Sabrina Hirche, Gegnerin des Projekts, und Bundestagsabgeordnete Herlind Gundelach zum Streitgespräch an die Landungsbrücken.
St. Pauli. Nur noch 13 Tage, dann entscheiden die Bewohner des Bezirks Mitte über die umstrittene Seilbahn zwischen St. Pauli und den Musicaltheatern auf Steinwerder. Das Angebot des Seilbahnbauers Doppelmayr, mindestens zehn Millionen Euro für soziale Einrichtungen im Bezirk zu spenden, hat die Diskussion weiter angeheizt. Für den Bau kämpft die Bundestagsabgeordnete Herlind Gundelach (CDU) von der Initiative „Hamburger Seilbahn – Ich bin dafür“. Die Angestellte Sabrina Hirche, Initiatorin der Initiative „Keine Seilbahn von St. Pauli über die Elbe“ will sie verhindern. Das Abendblatt lud beide zum Streitgespräch.
Hamburger Abendblatt: Die Investoren Doppelmayr und Stage Entertainment haben mit ihrer Ankündigung, einen Teil der Fahrgeldeinnahmen für den guten Zweck zur Verfügung zu stellen, für viel Diskussionsstoff gesorgt. Ist das ein unmoralisches Angebot?
Herlind Gundelach: Nein. Ich halte das für völlig unproblematisch, weil die Firma Doppelmayr bereits seit 2011 angekündigt hat, einen Teil der Einnahmen für soziale und kulturelle Zwecke im Bezirk Mitte zur Verfügung zu stellen. Sehen Sie es als eine Art Taxe an, die für jede Fahrt entrichtet wird.
Sabrina Hirche: Ich sehe den Zeitpunkt der Ankündigung dieser Zehn-Millionen-Spende schon als problematisch an. Dass dies durch mediale Berichterstattung zeitgleich mit der Versendung der Wahlunterlagen bekannt wurde, hat den Beigeschmack, dass es sich um Stimmenkauf handelt. Meiner Meinung nach wird hier versucht, auf die Entscheidung der Menschen einzuwirken, und das finde ich nicht redlich.
Gundelach: Dass Firmen, die ein großes Projekt umsetzen wollen, auch etwas für einen guten Zweck an die Bürger geben, ist gang und gäbe. Und dass das Geld nur fließen kann, wenn die Seilbahn gebaut wird, ist doch nur logisch, da es an den Verkauf der Tickets gebunden ist. Ich sehe daher auch keine Beeinflussung der Menschen im Bezirk.
St. Pauli sei kein Disneyland, sagen die Gegner der Seilbahn. Welche negativen Auswirkungen befürchten Sie, wenn das Projekt umgesetzt wird?
Hirche: Den St. Paulianern wird schon ziemlich viel zugemutet. Auf dem Kiez findet bereits ein Großteil der Großveranstaltungen in Hamburg statt. Mit der Seilbahn käme ein Dauer-Event hinzu und zwar an eine Stelle, die ohnehin verkehrstechnisch schon stark belastet ist. Die Einstiegshaltestelle ist an der Glacischaussee geplant, die bereits an mehreren Tagen während des Doms gesperrt und als Parkplatz genutzt wird, weil die Besucher eben nicht mit Bus und Bahn anreisen. Ich denke, dass auch die Seilbahnnutzer mit dem Auto kommen werden und dann an dieser Stelle ein Verkehrsinfarkt droht.
Gundelach: Ich glaube nicht, dass mehr Touristen nur wegen einer Seilbahn nach Hamburg kommen und deshalb ist das keine zusätzliche Belastung für den Stadtteil. Auch ein Verkehrsinfarkt ist nicht zu befürchten. Untersuchungen zeigen, dass der Autoverkehr in den Innenstädten eher abgenommen hat. Ich denke, die meisten Seilbahnnutzer werden mit Bus und Bahn anreisen.
Hirche: Da stimme ich Ihnen zu, ich glaube auch nicht, dass Touristen nur wegen der Seilbahn nach Hamburg kommen werden. Aber die zusätzlichen 1800 Besucher, die durch das zweite Musicaltheater (Anm. d. Red.: Eröffnung im November) auf Steinwerder Abend für Abend angezogen werden, müssen ebenfalls befördert werden. Für eben diese insgesamt knapp 4000 Musicalbesucher soll die Seilbahn doch hauptsächlich gebaut werden.
Gundelach: Aber das ist doch kein Argument, um gegen die Seilbahn zu sein. Dann hätten Sie das zweite Musicaltheater verhindern müssen. Richtig ist, die zusätzlichen Musicalbesucher sind ab Herbst da und werden über die Elbe transportiert werden müssen, und viele gehen vermutlich vorher oder nachher auch auf den Kiez, mit oder ohne Seilbahn.
Hirche: Die Leute könnten doch weiter mit den Hadag-Fähren über die Elbe transportiert werden. Der Hadag entstehen durch die Tatsache, dass Besucher die Seilbahn und nicht mehr die Fähren nutzen, Verluste.
Gundelach: Das stimmt so nicht. Der Hadag entgehen höchstens Mehreinnahmen, weil ein Teil der zusätzlich rund 1800 Besucher mit der Seilbahn fahren wird. Aber ein Großteil wird immer noch mit der Fähre übersetzen oder nur für eine Richtung die Seilbahn nehmen.
Was ist eigentlich der Sinn der Seilbahn?
Gundelach: Im ersten Schritt ist sie im wesentlichen ein Musicalzubringer, weil hier Endstation ist. Aber auch Touristen und die Hamburger werden die Seilbahn nutzen, um den Blick über den Hafen zu genießen. Doch die Grundidee war ja, dieses Verkehrsmittel bis nach Wilhelmsburg weiterzuführen.
Hirche: Frau Gundelach, wie kommen Sie überhaupt darauf, dass es eine Verlängerung bis nach Wilhelmsburg geben wird? Dieses Thema ist doch vom Tisch. Denn es ist ganz klar entschieden worden, dass wegen des Hafenentwicklungsgesetzes keine Seilbahn bis Wilhelmsburg weitergeführt werden darf.
Gundelach: Das stimmt so nicht. Schauen Sie sich die beiden Musicaltheater an. Das ist auch keine hafenkonforme Nutzung, und es gab einen großen Aufschrei vor dem Bau. Aber es wurde eine Sondergenehmigung erteilt. Das wäre auch für eine Seilbahn nach Wilhelmsburg möglich, es darf nur der Hafenbetrieb nicht gestört werden. Der Bau bis Steinwerder ist nur der erste Schritt, und ich halte an einer möglichen Verlängerung bis Wilhelmsburg fest.
Wie wirkt sich der Bau der Seilbahn aus städtebaulicher Sicht aus?
Hirche: Ein riesiger Pylon soll mitten in den Alten Elbpark gebaut werden, der auf Höhe der Tanzenden Türme abschließt und das Hafenpanorama massiv verändert. Sowohl an der Startstelle als auch im Park müssen viele Bäume weichen. Diese Grünanlage ist für die Neustädter und St. Paulianer ein Naherholungsgebiet, das ihnen durch den Bau der Seilbahn genommen werden würde.
Gundelach: Ich sehe den Pylon nicht als Problem an, da dieser sehr filigran ist und am Rande des Parks steht. Als ansprechendes Naherholungsgebiet würde ich den Alten Elbpark nicht bezeichnen. Ich sehe hier überwiegend Menschen, die ihr Bier trinken oder ihren Hund spazieren führen. Dieser Park braucht ein Gesamtkonzept, um wieder attraktiv zu werden und in dieses Gesamtkonzept kann der Bau der Seilbahn gut integriert werden.
Hirche: Ich finde es unglaublich, mit welcher Arroganz die Seilbahn-Befürworter über den Alten Elbpark sprechen. Ich bin hier aufgewachsen, habe dort Fahrradfahren gelernt und im Winter gerodelt. Für die Menschen hier ist er durchaus ein Naherholungsgebiet. Wenn Ihnen das nicht bekannt ist, liegt es wohl daran, dass Sie nicht mit den Menschen gesprochen haben, die in der Umgebung des Alten Elbparks leben und diesen auch nutzen. Und zwar nicht zum Biertrinken. Die Menschen auf St.Pauli und in der Neustadt und in der Nachbarschaft des Elbparks sind gebeutelt genug. Denn aus den gläsernen Gondeln der Seilbahn kann man bei ihnen in die Wohnungen schauen. Das erinnert mich doch sehr an einen Zoo.
Gundelach: Die Streckenführung ist so ausgelegt, dass man keinem in die Wohnung schauen kann. In einer Großstadt führt man keine Seilbahn an Balkonen vorbei.
Welches sind Ihre wichtigsten Argumente für beziehungsweise gegen eine Seilbahn?
Hirche: Die Seilbahn zerstört ein wichtiges Naherholungsgebiet und historische Stadtgrenzen. Die Einstiegshaltestelle soll an eine verkehrstechnisch zu belastete Stelle und erzeugt einen Verkehrsinfarkt. Wir Bürger haben keinen Nutzen von dieser Musical-Seilbahn, die kein Verkehrsmittel nach Wilhelmsburg ist.
Gundelach: Es ist ein modernes, leises und besonders umweltfreundliches Verkehrsmittel, mit dem binnen einer Stunde bis zu 3000 Menschen über die Elbe transportiert werden können. Die Seilbahn ist eine Chance für Hamburg als Transportmittel der Zukunft.
21. August 2014, Kieler Nachrichten und Hannoversche Allgemeine:
Schweben und schweben lassen
Weltstädte wie New York, London, Barcelona, São Paulo oder Singapur sind eine Liga für sich. Denn diese Metropolen haben, wovon in Kiel noch geträumt wird: eine Seilbahn. Ob Hamburg künftig auch in dieser Liga spielt, soll sich dagegen schon am Sonntag entscheiden. Dann stimmen die Bürger über das 35-Millionen-Euro-Projekt ab.
Hamburg. Die ehrgeizigen Pläne des Musicalbetreibers Stage Entertainment („Der König der Löwen“, „Das Phantom der Oper“, „Mamma Mia!“) und dem österreichischen Seilbahn-Hersteller Doppelmayr aus Bregenz sehen eine Verbindung vor, die in 80 Metern Höhe über den Hafen führt. Vom 92 Meter hohen Nordponton an der Glacischaussee auf St. Pauli soll es zu den Musical-Theatern am Südufer. gehen Eine Verlängerung der Strecke bis Wilhelmsburg und zu den Kreuzfahrtterminals wäre möglich, ist aber derzeit durch das Hafenentwicklungsgesetz unterbunden.
Am Sonntag sollen rund 200000 Wahlberechtigte des Bezirks Hamburg-Mitte über den 35 Millionen Euro teuren Bau abstimmen. Die zuständige Bezirksversammlung hatte das luftige Projekt im vergangenen Jahr zu den Akten gelegt, mehr als 14000 Seilbahnfans aber brachten mit ihrer Unterschrift ein Bürgerbegehren pro Gondel auf den Weg. Und die Befürworter im Seilbahn-Wahlkampf (Motto: „Künftig schweben wir zum Dom“) führen gute Argumente ins Feld: Die Verbindung könnte das Verkehrsnetz entlasten – wobei es vorrangig um die Fähren geht, die bislang die Musical-Besucher zu den Veranstaltungen bringen. Die Seilbahn fahre mit Elektrostrom und gelte als eines der sichersten Verkehrsmittel. Sie würde Touristen anlocken und den „Sprung über die Elbe“ für 3000 Fahrgäste pro Stunde ermöglichen. Vor allem aber, und das ist das wichtigste Argument der Pro-Gondler: Die Bahn würde den Steuerzahler nichts kosten. Denn das Projekt ist rein privatwirtschaftlich finanziert und – so das Versprechen – würde nach zehn Jahren wieder demontiert.
Bürgerschaftsabgeordnete machen eine andere Rechnung auf: Eine runde Million Euro könnten die Hamburger Verkehrsbetriebe pro Jahr durch die neue Konkurrenz verlieren – am Ende würde doch der Steuerzahler belastet. Zudem koste eine einfache Fahrt sechs Euro – zu teuer.
„Kein Disneyland auf St. Pauli“, wettern die Gegner. Die Gründerin der Initiative „Keine Seilbahn von St. Pauli über die Elbe“, Kiez-Anrainerin Sabrina Hirche (32) sagt: „Ich hatte sofort ein Bild von riesigen Stahlpfeilern im Kopf, die ein Seil über unsere geliebte Elbe spannen und das wunderbare Hafenpanorama zerstören würden.“ Auch die Grünen sind dagegen: Zu teuer, zu hässlich – die Seilbahn sei lediglich ein „Musical-Zubringer“. St. Pauli könnte, so meinen viele zwischen Hafenstraße und Millerntor, weiter kommerzialisiert werden.
Hauptnutznießer sei nun einmal Musical-Multi Stage Entertainment, heißt es von den Kritikern. Abend für Abend zieht der Disney-Evergreen „König der Löwen“ mehr als 2000 Besucher an. Das neue Musical „Das Wunder von Bern“ könnte zusätzliche 1800 Gäste nach Steinwerder locken. Auch deshalb zeigen sich Kommunalpolitiker wie SPD-Mann Andy Grote reserviert. St. Pauli, so der 46-Jährige Bezirksamtschef, sei kein Freizeitpark, sondern Heimat.
Aber ist die Suche nach Vergnügen nicht das Wesen St. Paulis? Travestiekünstler Olivia Jones, der seit vielen Jahren im Kiez lebt, outet sich als – nachdenklicher – Befürworter: „Unterm Strich scheint für mich das Projekt immer noch mehr Chance als Risiko zu sein, vor allem, weil es bestimmt nicht das Klientel nach St. Pauli lockt, vor dem sich Anwohner fürchten. Wodka-Zapfhähne an Bord der Gondeln sind jedenfalls, soweit ich weiß, noch nicht geplant.“ Und mit dem Unternehmer Albert Darboven haben die Befürworter einen Kaufmann in den Reihen, der in bester hanseatischer Tradition argumentiert. Man dürfe sich Neuem nicht verschließen. Gerade in Hamburg „sollten die Menschen wissen, dass man an und wann zu neuen Ufern aufbrechen muss.“
21. August 2014, Hamburger Abendblatt:
Das sagen Befürworter und Gegner der Seilbahn
Die Frau hinter der Gegen-Initiative: Sabrina Hirche
„Keine Seilbahn von St. Pauli über die Elbe.“ So lautet das Motto der Initiative, die Sabrina Hirche mit ins Leben gerufen hat. Als die St. Paulianerin 2011 zum ersten Mal erfuhr, dass es Pläne für eine Seilbahn über die Elbe gibt, war sie „entsetzt. Ich hatte sofort ein Bild von riesigen Stahlpfeilern im Kopf, die ein Seil über unsere geliebte Elbe spannen und das wunderbare Hafenpanorama zerstören würden.“ Die 32-Jährige, die ihre Kindheit zwischen Michel und Elbe verbrachte, hat sich intensiv mit der Seilbahn befasst und wurde zur engagierten Gegnerin. Sie warnt vor einem Verkehrsinfarkt für den schon von Veranstaltungen stark strapazierten Kiez.
Außerdem befürchtet die Angestellte im öffentlichen Dienst, dass der Alte Elbpark, der für sie die historische Stadtgrenze und Naherholungsgebiet des Viertels darstellt, stark in Mitleidenschaft gezogen werden würde. Viel Geld hat Sabrina Hirche für ihre Kampagne nicht zur Verfügung, es gibt keinen großzügigen Sponsor wie bei den Befürwortern. Aber trotzdem hat sie Flyer drucken lassen, macht auf Facebook gegen die Seilbahn mobil und versucht auf Wochenmärkten die Bürger von ihrer Meinung zu überzeugen. Immer mit dem Ziel, dass sich die Menschen dagegen entscheiden.
21. August 2014, stern.de:
Geschenkt ist noch zu teuer
Ein Musicalbetreiber will Hamburg eine Seilbahn spendieren. Doch das ist kein Geschenk an die Stadt, sondern eiskaltes Business. Ein Lehrstück darüber, wie Investoren sich Stadtentwicklung kaufen.
Lautlos gleiten die strahlend-weißen Gondeln in 80 Metern Höhe über die Elbe. Bis zu 3000 Menschen pro Stunde können sie von den Hamburger Landungsbrücken ans andere Elbufer bringen. So zumindest planen der Musicalkonzern Stage Entertainment und der österreichische Seilbahnbauer Doppelmayr die Zukunft in Hamburg. Dafür wollen die Firmen rund 35 Millionen Euro investieren und benötigen keinen Cent Steuergeld – ein großes Geschenk an die Stadt, wie es scheint. „Sieben Minuten pures Glück“, verspricht die Reklamebroschüre den Besuchern.
Doch ein ehrliches Geschenk ist selbstlos. An einem Präsent bereichert man sich nicht persönlich – und tut man dies doch, dann ist es kein Geschenk. Sondern Mittel zum Zweck. So ist die Seilbahn kein öffentliches Verkehrsmittel, sondern in erster Linie ein Transportmittel für die Touristenschwärme, die auf das andere Elbufer zu den Musicalspielorten gegondelt werden. Und deshalb wollen weder die Bezirksregierung noch Anwohner die Seilbahn. Warum auch? Wer den Sprung über die Elbe wagt, nimmt die Barkasse. Und den St.Paulianern hängt der Touri-Rummel inzwischen schwer zum Hals heraus.
Zur Kulisse abgestempelt
Seit Jahren verkommt der Stadtteil zu einem aufgehübschten Disneyland-Kiez. Die Straßen und Häuser werden zu Kulissen, die Bewohner zu Statisten für touristische Großevents. Da pilgern rund eine halbe Million, in die Jahre gekommener, Plastiksonnenblumen-Mädchen zum Schlagermove, knattern Zahnärzte aus ganz Deutschland auf teuren Motorrädern durch die engen Häuserschluchten bei den Harley-Days und Menschenmassen schwärmen zu den Cruise-Days, um Schiffe zu begaffen. Dazwischen schleppen sich Rentnergruppen einer aufgemotzten Olivia Jones (Oder jemanden, der so ähnlich aussieht) hinterher oder wanken besoffene Fast-Bräute und Demnächst-Bräutigame mit ihren strikt geschlechter-getrennten Freundeskreisen in albernen T-Shirts, auf denen mitunter Sinnsprüche zu lesen sind: „Andreas hat seine Endgegnerin gefunden.“
Auch wenn St. Pauli von dem Bau besonders betroffen wäre, ärgert es viele Hamburger, dass sie nicht mit abstimmen dürfen. Grund dafür is ein politischer Kniff, allerdings nicht durch die Stage Entertainment, sondern durch den Hamburger SPD-Senat. Dort wurde das Problem Seilbahn an den Bezirk gegeben – und eben genau dort wird jetzt auch per Bürgerentscheid abgestimmt.
Missbrauch der Demokratie
Nun sollen noch mehr Fun und Action an die Elbe kommen. Die Musicalveranstalter haben ein Geschäft gewittert. Und greifen mit aller Macht zu. Die Geschichte von Hamburgs Seilbahn ist die eines privatwirtschaftlichen Konzerns, der sich die Stadt so gestaltet, wie sie ihm passt. Das heißt – wie so oft – profitorientiert. Gewinnmaximiert. Stadtplanerische Hoheit für 35 Millionen Euro. Und wenn die Anwohner und die Politik im Bezirk nicht mitspielen, dann schiebt das Unternehmen eben auch noch den notwendigen Bürgerentscheid an. Damit missbraucht die Stage Entertainment ein basisdemokratisches Mittel für den Bau eines lukrativen Geschäftsmodells. Dafür braucht die Firma nur ein dickes Scheckheft für das Marketing und genügend Freikarten. Das ist beängstigend – und unfassbar dreist.
Zunächst scheinen die Initiative für die Seilbahn und die dahinter stehenden Unternehmen sehr auskunftsfreudig. Sie spielen, ohne müde zu werden, die gleiche Platte: Keine Steuergelder werden für Bau und Betrieb der Seilbahn gebraucht. Umweltfreundlich ist die Bahn auch. Und ein tolles Verkehrsmittel. Wortkarg allerdings werden alle Beteiligten, wenn es um die Marketingausgaben geht. Denn die Seilbahn wurde politisch schon mehrfach geblockt – nun sollte ein Bürgerentscheid her. Doch um den überhaupt aufsetzen zu können, brauchte es Unterschriften. Und die wurden fleißig gesammelt, gerne auch fernab der betroffenen Stadtteile. Dort wurde das Kreuz an der richtige Stelle mit einer Freikarte belohnt – für eine Fahrt in einer Seilbahn, über deren Bau noch nicht einmal entschieden ist. Für die Pro-Seilbahn-Initiative ist das kein Problem: Man habe die Freikarten nicht dafür genutzt, um Unterschriften zu gewinnen – aber man habe nach Unterschrift gerne Gondelticket verteilt, so Herlind Gundelach, eine der Initiatoren.
Kein Geld ohne Seilbahn
Dazu kommen Veranstaltungen, Plakate, Flyer – die ganz große Werbetrommel. Als besonderes Extra stellten die beiden Firmen auch noch einen Scheck über 10 Millionen Euro in Aussicht, der für soziale Projekte ausgegeben werden sollte. Natürlich würde es das Geld erst geben, wenn der Bürgerentscheid erfolgreich sei und die Seilbahn auch wirklich gebaut wird. Inzwischen wird es den Scheck wohl gar nicht mehr geben, denn die Spende für Bedürftige an den Ausgang des Bürgerentscheids zu koppeln, fasste der Bezirk als Bestechung auf.
Und fragt man die Initiative für die Seilbahn oder die Stage Entertainment oder Doppelmayr, ob sich die Bahn rechnet, schweigen alle. Doch genau davon ist auszugehen: Bislang werden die Musicalzuschauer mit Barkassen ans gegenüberliegende Elbufer geschippert. Das kostet den Musicalveranstalter Geld – warum also nicht ein Event aus der Überfahrt machen und selber daran verdienen? Da das Unternehmen selbst keinerlei Zahlen rausrücken möchte, hilft nur grobes Überschlagen: Wenn im November neben dem „König der Löwen“ auch das zweite Musical seinen Betrieb aufnimmt, erwartet die Stage bis zu 1,4 Millionen Zuschauer im Jahr. Eine einfache Fahrt soll rund sechs Euro kosten. Selbst wenn nur jeder zweite Musicalgast die Seilbahn nutzen würde und es Rabatte bei gebuchter Hin- und Rückfahrt gibt (geschätzte Gesamtkosten: 10 Euro) und von den jährlich rund sechs Millionen Touristen in der Stadt nur jeder Zehnte in die Gondel einsteigen würde, läge der Umsatz – ohne einen einzigen Hamburger Pendler transportiert zu haben – locker bei 13 Millionen Euro. Pro Jahr. Tendenz steigend. Eine Investition von 35 Millionen Euro hätte sich da fix rentiert.
Seilbahn als Sieger
Schlimm, wenn die Seilbahn kommt. Fatal, wenn sich das Modell des eingekauften Bürgerentscheids durchsetzt. Firmen mit unsinnigen Veränderungswünschen oder Geschäftsideen könnten sich künftig mit ihrem großen Werbebudget schlichtweg den Stimmenrückhalt aus der Bevölkerung kaufen. Nicht die Meinung des Volkes oder betroffener Bürger wäre entscheidend, sondern die größtmögliche Mobilisierung der Schwarmintelligenz. Dann wäre ein Mechanismus wie der Bürgerentscheid, der Menschen eine Mitbestimmung einräumt, zu einem Profit-Vehikel verkommen, um wirtschaftliche Interessen durchzudrücken.
In Hamburg scheint das System erfolgreich zu sein: Gut informierte Kreise gehen inzwischen stark von einem Sieg der Seilbahnbauer aus. Der Bürgerentscheid endet am 24. August.
22. August 2014, Lübecker Nachrichten:
Eine Seilbahn für Hamburg?
Die Bürger von Hamburg-Mitte entscheiden, ob Musical-Besucher in Zukunft in gläsernen Gondeln über die Elbe fahren sollen.
Hamburg. Joachim Stratenschulte (64) blickt nach oben in die Takelage der „Rickmer Rickmers“. Er ist auf dem Museumsschiff an den Hamburger Landungsbrücken Geschäftsführer, und wenn es nach ihm geht, dann wird in wenigen Jahren eine Seilbahn von St. Pauli über sein Schiff die Elbe in Richtung Steinwerder überqueren, zu dem Musical-Zelt vom „König der Löwen“ und dem neuen Theater daneben, wo demnächst „Das Wunder von Bern“ Premiere feiern wird. „Ich glaube an das Prinzip Seilbahn“, sagt Stratenschulte. „Ich glaube, dass das ein total tolles Verkehrsmittel ist.“
Stratenschulte ist Sozialdemokrat. Mit seiner Seilbahn-Euphorie ist er in der SPD von St. Pauli auf verlorenem Posten.
Die Bezirksversammlung hat das Projekt abgelehnt. Daraufhin brachte Stratenschulte mit der CDU-Bundestagsabgeordneten Herlind Gundelach und dem ehemaligen Tourismusverbandschef Thomas Magold ein Bürgerbegehren auf den Weg. Es war erfolgreich, und deshalb stimmen die Bürger des Bezirks Mitte jetzt über das Projekt ab. Eine Seilbahn, schwärmt Stratenschulte, sei umweltfreundlich, schnell gebaut, preiswert, quasi geräuschlos, und verbrauche kaum Fläche.
Von einer Anhöhe im Alten Elbpark blickt Otto von Bismarck elbabwärts, riesengroß, grob und klobig. Weiter unten zeigt Sabrina Hirche (32) die Stätten ihrer Kindheit: „Hier war das Hauptquartier meiner Bande.“ Sie ist am und in diesem Park groß geworden, ist hier gerodelt und hat hier Fahrrad fahren gelernt. Ganz am Rand, dort, wo einige Birken dekorativ die Zweige hängen lassen, soll der mehr als 100 Meter hohe Pylon der Seilbahn hinkommen. Er wird Bismarck weit überragen. „Sie können sich vorstellen, was passiert, wenn ständig Gondeln mit einem sirrenden Geräusch kommen“, sagt sie. Sabrina Hirche ist eine Wortführerin der Gegner. Auch sie ist Sozialdemokratin. „Joachim und ich verstehen uns gut“, sagt sie über Stratenschulte. Aber in dieser Sache stehen sie einander unversöhnlich gegenüber. Sabrina Hirche fürchtet um ihren Park, um ihren Stadtteil, um das Hafenpanorama ihrer Stadt, und sie sagt einen Verkehrsinfarkt in St. Pauli voraus. Sie nennt das Bürgerbegehren ein „Konzernbegehren“. „Es wurden Freikarten verteilt für etwas, was es noch gar nicht gibt“, sagt sie. „Das ist unlauter. Wenn die Stage Entertainment damit durchkommt, wird das Schule machen.“
Auch um die Reeperbahn ist die Seilbahn Diskussionsthema. „Wir sind nicht in den Bergen, wir sind in Hamburg“, sagt Rosi Burkhard (42), die im „Goldenen Handschuh“ hinterm Tresen steht, und einer ihrer Gäste ergänzt: „Wir sind Norddeutsche, wir lieben das Wasser. Was soll da ’ne Seilbahn?“ Rolf Zengerling (53), der einen Steinwurf entfernt an einem Außentisch des „May“ sitzt, sieht es anders:
„Mit der Seilbahn über die Elbe fahren, das ist modern, das ist Abenteuer, das ist der Kick! Jede Stadt braucht so etwas.“ Er war nicht immer dieser Meinung: „Ganz zu Anfang war ich dagegen, weil ich mich nur mit Leuten unterhalten habe, die dagegen waren.“
Joachim Stratenschulte verwahrt sich gegen den Vorwurf, er handle für die Investoren. „Wir drei haben mit den beteiligten Unternehmen nichts zu tun“, sagt er. „Mir hat noch nicht mal jemand eine Tasse Kaffee ausgegeben.“ Dass es ein kommerzielles Projekt ist, stört ihn nicht. „Klar ist das kein öffentliches Nahverkehrsmittel. Kein Mensch behauptet, dass das nicht ein kommerzielles Unternehmen wäre. Aber wo ist denn da die Kritik? Es wird ja so getan, als wäre eine kommerzielle Seilbahn Teufelszeug.“
Er vermutet, dass die Bürger mehrheitlich für das Projekt stimmen werden. Er weiß aber, dass die Gegner sich nicht geschlagen geben werden. Eine Sammelklage sei nicht auszuschließen, sagt Sabrina Hirche. „Der letzte Akt wäre, sich an die Bäume zu ketten.“
27. August 2014, st.pauli-news.de:
Seilbahn-Gegner feiern auf dem Spielbudenplatz
Auf dem Kiez wird gefeiert: Keine Gondeln über der Elbe! Knapp zwei Drittel der Wahlteilnehmer erteilen der geplanten Seilbahn eine Absage.
Gestern hatten wir es ja an dieser Stelle schon verkündet, jetzt ist es offiziell: Nix Seilbahn! Zwei Drittel sprechen sich gegen das Projekt aus. Laut offiziellem Endergebnis, das am Nachmittag vorgestellt wurde, stimmten lediglich 18.312 der Vorlage des Bürgerbegehrens zu. 31.769 hatten mit NEIN abgestimmt. Das entspricht 63,4 Prozent.
Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD) sprach bei der Pressekonferenz am Mittwochnachmittag von einem “klaren Ergebnis”. “Das Votum ist bindend für den Bezirk, aber auch für den Senat.” Die Seilbahn in dieser Form – von St. Pauli zu den Musicalzelten auf der anderen Elbseite – sei damit endgültig vom Tisch. Die Freude über das gescheiterte Bürgerbegehren konnte der Bezirkschef nur schwer verbergen. “Dass ich eine gewisse Freude verspüre, ist sicherlich nachvollziehbar. Ich halte das Ergebnis für eine richtige und gute Entscheidung.” Das Ergebnis sei aber kein Votum gegen den Tourismus, sondern eines für den Erhalt der Einzigartigkeit dieser Stadt.
Etwas bedröppelt lauschte Thomas Magold, einer der Hauptinitiatoren des Bürgerbegehrens, den Worten des Bezirksamtsleiters. “Wir akzeptieren selbstverständlich das Votum der Wähler in Hamburg-Mitte, sind aber nach wie vor überzeugt, dass die Hansestadt damit vorerst die große Chance verpasst, ein innovatives Verkehrsmittel völlig ohne Kosten oder Risiko für die Stadt zu erproben”, sagte er im Anschluss. “Wir haben uns sehr engagiert, aber die Angst vor Veränderung ist bei vielen Bürgern größer als die Lust, etwas Neues zu probieren”, sagte Magold. Das habe die Politik in Mitte aufgegriffen und mit ihrer Diffamierungskampagne befördert. “Die Stage hätte einen fairen Umgang verdient, den hat das Unternehmen aber nicht bekommen.”
Das sieht FDP-Wirtschaftsexperte Thomas-Sönke Kluth ähnlich: “Eine Seilbahn über die Elbe wäre nicht nur ein touristisches Highlight sondern auch eine sinnvolle Ergänzung des ÖPNV.”
“Die Menschen lassen sich nicht kaufen”
Auf dem Spielbudenplatz feierten die Gegner der Seilbahn am Nachmittag euphorisch das Ergebnis – obwohl der Jubel für die Kameras im ersten Moment noch etwas verhalten wirkt, als könnten sie ihr Glück immer noch kaum fassen. “Ich habe nicht gedacht, dass es so ausgeht”, sagt Sabrina Hirche, Initiatorin der Initiative Keine Seilbahn von St. Pauli über die Elbe. Bis zuletzt war sie unsicher, wie das Votum der Menschen ausfallen würde. Den Sekt habe sie daher eben erst am Kiosk gekauft. “Ich bin völlig überwältigt.”
“Wir haben gezeigt, dass David gegen Goliath gewinnen kann”, sagt Theresa Jakob von der Initiative Keine Seilbahn. “Es ist ein doppelter Sieg, für die Bürger von St. Pauli und die Demokratie insgesamt.” Jubelnd liegen sie sich in den Armen, auch Vertreter von SPD, Grüne und Piraten sind dabei und klatschen sich gegenseitig ab. Ein Sektkorken fliegt über den Platz. “Das klare Ergebnis zeigt, dass ein Bürgerbegehren von keiner Firma gekauft werden kann”, sagt Michael Osterburg von den Grünen. “Die Bürger haben sich durchgesetzt und für sich und ihren Stadtteil entschieden.” Andreas Gerhold von den Piraten ergänzt: “Die Menschen in Mitte haben der Konzernlobby eine klare Absage erteilt.”
“Hamburgs Bürger Haben sich weder täuschen noch kaufen lassen”, sagt Sabrina strahlend. “Ich bin wahnsinnig glücklich. Jetzt feiern wir erstmal auf unserem Dorfplatz.” Käse und Wein stehen schon bereit. Bei Samba-Klängen, die über den Platz hallen, hält auch Magdalena Eberhard die Füße nicht mehr still. Seit vier Jahren habe sie gegen die Seilbahn gekämpft, Briefe an Senatoren und Bezirkspolitiker geschrieben und die Presse für das Thema sensibilisiert. Am Montag hatte sie sich bereits im Bezirksamt einen ersten Eindruck bei der Auszählung verschafft. “Ich habe es gehofft, aber nicht erwartet”, sagt Magdalena über das Ergebnis. “Jeder, der Hamburg liebt, muss sich über dieses Ergebnis freuen.”
27. August 2014, ndr.de:
Hamburger geben Seilbahn keine Chance
Die Bürger im Bezirk Hamburg-Mitte haben entschieden: Die umstrittene Seilbahn von Hamburg-St. Pauli über die Elbe zu den Musicaltheatern wird nicht gebaut. Nach Angaben des Bezirksamts stimmten knapp zwei Drittel gegen das Projekt.
Ein Viertel hatte abgestimmt
50.081 Bürger hatten ihre Stimme abgegeben. 31.769 (63,4 Prozent) votierten gegen das Projekt, nur 18.312 waren dafür. Insgesamt konnten 203.318 Einwohner bis Sonntag ihre Stimme abgeben, die Wahlbeteiligung lag bei rund 25 Prozent. Der Bürgerentscheid sei für den Senat rechtlich bindend, das habe dieser für die Seilbahn so festgelegt, sagte Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD).
35 Millionen Euro sollten investiert werden
Die Pläne sahen vor, dass die Seilbahn in 80 Metern Höhe vom Heiligengeistfeld in St. Pauli über die Elbe nach Steinwerder führt. Dort befinden sich gleich zwei Musical-Theater: „Der König der Löwen“ läuft seit 2001, das neue Theater wird im Herbst 2014 mit „Das Wunder von Bern“ eröffnet. Die Seilbahn sollte die Shuttle-Fähren der HADAG für die Musicalbesucher ergänzen. Das Unternehmen Stage Entertainment wollte mit dem österreichischen Seilbahnbauer Doppelmayr 35 Millionen Euro in die 1,5 Kilometer lange Strecke investieren.
Befürworter des Projektes äußerten sich nach dem Scheitern enttäuscht. „Wir haben immer an die Seilbahn über die Elbe geglaubt“, sagte Herlind Gundelach, Initiatorin des Bürgerbegehrens. Thomas Magold von der Initiative „Ja zur Seilbahn“ sprach von einer „verpassten Chance, ein innovatives Verkehrsmittel völlig ohne Kosten oder Risiko für die Stadt zu erproben.“ Die Firmen Doppelmayr und Stage Entertainment teilten gemeinsam mit: „Selbstverständlich akzeptieren und achten wir den Bürgerwillen.“ Auch die Handelskammer bedauerte das Votum: Von einer Seilbahn hätten neben den Gästen in der Stadt auch die Hamburger profitiert.
Feier auf dem Spielbudenplatz
Die Seilbahn-Gegner reagierten mit einer Feier unter dem Motto „Sieg David gegen Goliath“ auf dem Spielbudenplatz. Sie seien überwältigt von der deutlichen Mehrheit, sagte Sabrina Hirche, eine der Vertreterinnen der Gegner-Initiativen. Die Initiative „Keine Seilbahn über unseren Köpfen“ teilte mit: „Wir sind erleichtert, dass Hamburg ein Fahrgeschäft erspart geblieben ist, das den Menschen in der Stadt keinen echten Nutzen gebracht hätte.“ Initiatorin Theresa Kajob sprach von einem „Sieg der Demokratie“.
Die Kritiker hatten in dem Projekt keine Bereicherung für die Hansestadt, sondern eher für die Konzerne gesehen. Eine Initiative befürchtete Nachteile für die Anwohner durch erhöhte Touristenströme und zusätzlichen Verkehr. Außerdem hätte die Bahn mit ihren 92 und 129 Meter hohen Stützen ihrer Meinung nach das Stadtbild zerstört.
„Entscheidung für die Einzigartigkeit“
In der Bezirksversammlung hatte sich im Juni ebenfalls eine Zwei-Drittel-Mehrheit gegen die Pläne ausgesprochen. Angesichts der hohen Beteiligung sei das Ergebnis repräsentativ für Hamburg und spiegele das Votum der Versammlung wider, sagte Bezirkschef Grote. „Das ist keine Entscheidung für den Tourismus, sondern für die Einzigartigkeit der Stadt“ mit der „unverwechselbaren Silhouette“ aus Michel, Elbphilharmonie und Landungsbrücken.
Auch Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) zeigte sich zufrieden: „Ich finde sehr gut, dass die Bürger entschieden haben, weil das immer für eine Legitimation der Entscheidung sorgt“, sagte er in einem Gespräch mit NDR 90,3.
27. August 2014, Hamburger Abendblatt:
Bewohner sprechen sich offenbar gegen Seilbahn aus
Die umstrittene Seilbahn über die Elbe wird nicht gebaut. Die Menschen in Mitte stimmen gegen das Projekt, wie der St.-Pauli-Blog aus sicherer Quelle erfahren hat.
Hamburg. 55.000 Bewohner des Bezirks Hamburg-Mitte hatten abgestimmt. Jetzt steht offenbar fest: Die umstrittene Seilbahn über die Elbe wird nicht gebaut. Nach Informationen des St.-Pauli-Blogs des Hamburger Abendblatts waren am Dienstagabend bereits so viele Nein-Stimmen ausgezählt worden, dass die nötige einfache Mehrheit der Gegner bei diesem Bürgerentscheid erreicht sein soll.
Die Seilbahn-Befürworter reagierten enttäuscht. Joachim Stratenschulte von der Initiative „Ja zur Seilbahn“ sagte: „Wenn es stimmt, dass die Zahl der Nein-Stimmen weit höher ist als die der Ja-Stimmen, wonach es im Moment aussieht, dann ist unser Projekt leider gescheitert. Wir sind traurig, aber wir akzeptieren selbstverständlich das Ergebnis dieses Bürgerentscheids. Wir glauben, dass Hamburg damit eine Chance verpasst.“ Sabrina Hirche, Initiatorin der Initiative „Keine Seilbahn von St. Pauli über die Elbe“, sagte am Abend: „Es ist eine deutliche Tendenz zu erkennen, die mir Freudentränen auf die Wangen treibt.“ Das vorläufige Endergebnis des Bürgerentscheids wird im Laufe des Mittwochs erwartet.
Die Seilbahn sollte St. Pauli mit den Musicaltheatern auf Steinwerder verbinden. Der Musicalproduzent Stage Entertainment und der Seilbahn-Hersteller Doppelmayr wollten die Baukosten in Höhe von 35 Millionen Euro alleine tragen.
27. August 2014, stern.de:
Wenn die Gondeln Trauer tragen
Der Seilbahn-Bürgerentscheid in Hamburg ist gescheitert. Das Ergebnis zeigt, dass die Bürgermeinung doch nicht käuflich ist – oder lag es nur an der schwachen Wahlbeteiligung?
Jetzt ist es offiziell: Der Hamburger Bürgerentscheid für eine Seilbahn ist gescheitert. Nur gut 36 Prozent wollten die Bahn, das reicht nicht. Die Initiatoren hatten noch vor wenigen Tagen Unterstützer und Medienvertreter für heute auf das Segelschiff „Rickmer Rickmers“ im Hamburger Hafen eingeladen. Wohl um den erhofften Sieg zu feiern. Heute Vormittag wurde die Veranstaltung abgesagt. Es ist vorbei.
„Als ich am Dienstagnachmittag erfuhr, dass sich eine Tendenz zum Nein abzeichnet, konnte ich es kaum glauben“, sagt Sabrina Hirche, die sich mit einer Initiative gegen die Seilbahn eingesetzt hatte. Und tatsächlich ist es kaum zu glauben. Denn dass Bürger selbst darüber entscheiden können, ob sie ein Geschenk aus Konzernhand haben möchten, ist schon selten. Dass sie dieses Geschenk nicht annehmen, ist unfassbar – aber richtig.
Ausgegondelt
Denn nicht alles, was nichts kostet, ist gut. In diesem Fall war das Musicalunternehmen Stage Entertainment gemeinsam mit einem österreichischen Seilbahnbauer angetreten, um eine Gondelbahn über die Elbe zu schicken. Kostenpunkt: 35 Millionen Euro, finanziert vom Unternehmen. Steuergeld sollte nicht eingesetzt werden. Auf dem anderen Elbufer werden bald zwei Musicalspielorte des Unternehmens stehen – mit der Seilbahn sollten künftig die Besucher den Fluss überqueren. Und darüber hinaus hoffte das Unternehmen auch, dass Touristen und Hamburger fleißig mit der Gondel den in Hamburg viel beschworenen Sprung über die Elbe wagen würden.
Dazu wird es nicht kommen. Von den 200.000 Stimmberechtigten gaben 55.000 ihre Stimme ab. Das Ergebnis: Über 63 Prozent der Menschen wollen keine Seilbahn. Also werden auch künftig die Musical-Fans auf eine Barkasse steigen müssen. Dass die Gondelbahn abgeschmettert wird, war allerdings kein Selbstgänger. „Ich gebe zu, dass ich befürchtet habe, dass die Seilbahn-Befürworter mit den Falschaussagen auf den Plakaten und somit falschen Versprechungen manch einen würden täuschen können“, sagt Hirche. Denn das PR-Paket, das die Initiatoren für den Pro-Seilbahn-Bürgerentscheid geschnürt hatten, war gewaltig: Veranstaltungen, Flyer, Plakate, prominente Werbeträger – und bündelweise Freikarten wurden aufgefahren. „Wir hatten keine Agentur im Rücken, die Motive entwirft, strategisch einen Wahlkampf plant und die Stadt mit Plakaten zupflastert“, sagt Hirche. „Aber wir hatten offenbar die besseren Argumente.“
Bürgerwille entscheidet
Das Unternehmen hatte die große Werbetrommel gerührt, denn so verlockend die Seilbahn für manch einen hätte sein können: für Stage Entertainment ging es ums Geschäft. Bislang muss das Unternehmen für die Barkassenfahrt der Besucher zahlen. Warum diesen Service nicht selbst anbieten und damit Geld verdienen? Und so hätte aus einem Bürgerentscheid ein Freifahrtschein für Geschäftsmodelle werden können, ein Profit-Hebel mit bürgernahem Anstrich.
Hamburg will es anders, die Bürger lassen sich nicht kaufen oder mit Freikarten bestechen – oder? Es mag auch an der schwachen Wahlbeteiligung gelegen haben, dass die Seilbahn nicht kommt. Allein im Stadtteil St. Pauli leben rund 24.000 Menschen, sie wären von der Bahn am stärksten betroffen gewesen. Ob die Bewohner von entfernteren Stadtteilen, wie Finkenwerder oder in Wilhelmsburg, sich mit einer Seilbahn auseinander gesetzt haben, ist unklar – das geben die veröffentlichten Zahlen nicht wieder. Das Unternehmen Stage Entertainment gibt sich zerknirscht: „Wir akzeptieren und achten den Bürgerwillen“, heißt es in einer Mitteilung.
Missbrauch der Demokratie
Sicher ist: Hamburg wird nicht zum Präzedenzfall für das Durchdrücken von Konzerninteressen durch Bürgerentscheide. „Man darf demokratische Instrumente nicht missbrauchen. Ich hoffe, dass es in Zukunft nicht mehr dazu kommt, dass auf Kommunalebene über eine so weitreichende Entscheidung abgestimmt werden darf, die allein aus dem Interesse eines Konzerns angeschoben wurde“, sagt Hirche. Bleibt am Ende die Hoffnung, dass es auch andernorts nicht dazu kommt.
28. August 2014, Hamburger Morgenpost:
Hier jubeln die Seilbahn-Gegner
Die Hamburger fahren weiterhin mit einer Fähre über die Elbe – die Seilbahn von St. Pauli nach Steinwerder kommt nicht. Rund zwei Drittel haben beim Bürgerentscheid gegen die Gondeln gestimmt.
Vor drei Jahren haben der Musical-Konzern Stage Entertainment und der Seilbahn-Hersteller Doppelmayr ihre Idee erstmals vorgestellt. Nun sind die Pläne vom Tisch. 63,4 Prozent stimmten gegen die Seilbahn, nur 36,6 Prozent dafür. Knapp 204000 Bürger im Bezirk Mitte waren abstimmungsberechtigt. Von diesem Recht machten 50081 Bürger Gebrauch. Die Wahlbeteiligung betrug 24,8 Prozent – für einen Bürgerentscheid ein guter Wert.
Lange Gesichter bei den Befürwortern. „Die Bürger haben sich von ihrer Angst vor Veränderungen leiten lassen. Hamburg hat vorerst die große Chance verpasst, ein innovatives Verkehrsmittel völlig ohne Kosten für die Stadt zu erproben“, sagte Thomas Magold, Mit-Initiator der Bürgerinitiative für die Seilbahn.
Die Projektverantwortlichen von Doppelmayr und Stage Entertainment teilten mit: „Seit wir die Idee einer Seilbahn der Öffentlichkeit vorstellten, haben wir gehofft, die Mehrheit der Hamburger für dieses Projekt zu begeistern. Das haben wir leider nicht erreicht.“ Enttäuschung auch bei der Handelskammer. „Von einer Seilbahn hätten neben unseren Gästen sämtliche Hamburger profitiert“, so Hauptgeschäftsführer Hans-Jörg Schmidt-Trenz.
Jubel hingegen bei den Seilbahn-Gegnern. „Das Ergebnis zeigt, dass wir als einfache Bürger ohne viel Geld im Hintergrund gegen Konzerne und Lobby-Verbände gewinnen können – das ist ein Sieg für die Demokratie“, so Theresa Jakob, Initiatorin der Initiative „Keine Seilbahn über unseren Köpfen“.
Auch Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD) war zufrieden. „Die Entscheidung ist kein Votum gegen den Tourismus, sondern für den Erhalt der Einzigartigkeit der Stadt mit ihrer unverwechselbaren Silhouette“, sagte er.
Das Ergebnis des Bürgerentscheids ist rechtlich bindend. Eine einfache Mehrheit hätte gereicht.
Keine Seilbahn von St. Pauli über die Elbe
Hamburg – weltoffene Stadt der Vielfalt. Aber wie weit darf diese Vielfalt gehen? Müssen wir denn alles haben? Eine Seilbahn ohne Berge? Und zwar quer über die Elbe gespannt?
Die Stage Entertainment ist mit Hamburg verwurzelt – keine Frage. Nicht nur mit Cats, dem Phantom der Oper, Tarzan, Dirty Dancing, Buddy Holly und König der Löwen lädt das Unternehmen viele Touristen zu uns und hat Hamburg zur Musical-Hauptstadt Deutschlands gemacht. Die drei Standorte der Musicalspielstätten liegen zentral am Spielbudenplatz, an der Holstenstraße und seit 1994 mit dem Theater im Hafen Hamburg direkt am Wasser. Letzteres sorgte damals für eine kleine Sensation, waren doch selbst Hamburger je kaum im Stadtteil Steinwerder gewesen. Plötzlich sah man auch über das Wasser und nicht wenige entdeckten die andere Elbseite für Ausflüge und genießen seitdem den Blick auf die Hamburg Silhouette mit Landungsbrücken, Michel, Fernsehturm und Bismarckdenkmal.
Inzwischen lässt die Stage Entertainment fleißig an einem weiteren Musicaltheater auf der anderen Elbseite bauen. Doch die Anreise soll nun nicht mehr per Fähre, Bus oder PKW erfolgen. Nun hat man sich etwas noch spektakuläreres einfallen lassen: Eine Seilbahn soll her! Einstiegshaltestelle: St. Pauli, direkt an der Glacischaussee, das ist die Straße, die an besonders intensiv besuchten Tagen des Hamburger DOMs gesperrt und zum Parkplatz umfunktioniert wird, was darauf schließen lässt, dass nicht ausreichend Parkplätze vorhanden sind. Lediglich zwei Pylonen (Stützpfeiler) mit einer Höhe von etwa 92 Metern wird man aufstellen wollen, die ausreichend sein werden, um die 26 Gondeln mit bis zu 30 Personen über ca. 1500 Metern Länge über die Elbe zu bringen.
Dass der Platz der Einstiegshaltestelle ob der schlechten Parkmöglichkeiten – und seien wir ehrlich, die meisten werden nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln, sondern eben sehr gerne mit dem PKW zur Seilbahn anreisen – nicht ideal gewählt sein könnte, wart schon erwähnt. Weiter geht es jedoch auch mit dem Streckenverlauf. Überwunden werden muss der Stintfang. So plant man den ersten Pfeiler an der Helgoländer Allee aufzustellen – vis-á-vis mit dem Bismarckdenkmal, direkt im Elbpark, nicht nur die alte Stadtgrenze zwischen Altona und Hamburg, sondern auch ein Naherholungsgebiet für Anwohner und Besucher. Die Stütze sei „wesentlich niedriger als der Michel“, lässt man den interessierten Leser auf der Internetseite zur Hamburger Seilbahn wissen. Das stimmt wohl. Unser Michel misst bis zur Spitze 132 Meter; die Aussichtsplattform jedoch befindet sich auf 82 Metern Höhe. Von dort wird man demnach wunderbar den Stützpfeiler anschauen können und mit etwas Glück – so viel muss es gar nicht sein – erhascht man sogar einen Blick auf eine der 26 Gondeln.
Das Hafenpanorama selbst wird sich selbstverständlich grundlegend verändern. Hamburg-Bilder der vielen großen Kreuzfahrschiffe vor pittoresker Hafenkulisse würden bald einen Seltensheitswert bekommen. Das Schlepperballett beim alljährlichen Hafengeburtstag wird zusätzlich von Seilbahngondeln umrahmt werden. Wer weiß, vielleicht baut man an der Endhaltestelle ein paar Plastikberge auf, damit Hamburg in Sachen Vielfalt in nichts mehr nachstehen muss.
Abgesehen von den oben genannten Argumenten, sei es auch zu überlegen, wieviele Attraktionen man einem immerhin mit 24.000 Einwohnern nicht gerade unbelebten Stadtteil noch zumuten kann. Dreimal im Jahr wird eben genau die Stelle, an der die Seilbahn die Besucher aufnehmen soll, vom Hamburger DOM frequentiert, der nicht wenig Besucher anlockt. Auch Schlagermove, Eurovision Songcontest-Übertragung, Harley Days, Reeperbahn Festival und natürlich der Hafengeburtstag bringen tausende Menschen nach St. Pauli und den angrenzenden Hafenstadtteil Neustadt. Um keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen – es ist schön, dass Hamburg so beliebt ist und so viel Besuch bekommt, der unserer Tourismusbranche nicht nur gut tut, sondern sogar elementar wichtig ist. Aber brauchen wir unbedingt eine Seilbahn mit Einstiegsstelle St. Pauli?
Ein Alternativentwurf wurde von der italienischen Leitner AG vorgestellt, die sich eine Seilbahntrasse von der Hafencity entlang der Kaimauer über die Elbe vorstellen könnte. Den Einstieg plant man an der U4-Haltestelle „HafenCity Universität“. Der Referent des Vorstands der Leitner AG lässt verlauten: „Die Trasse macht das Stadtpanorama erlebbar, ohne das Stadtbild zu zerschneiden, weil sich die Seilbahntechnik in die bestehende Hafentechnik einfügt.“ (Quelle) Eine mögliche Alternative für Seilbahnliebhaber, die weder dem Stadtbild schadet, noch zwei ohnehin viel frequentierte Stadtteile einen Verkehrs- und Besucherinfarkt versetzt?
Bis zum 20. Juni 2013 werden die Behörden entscheiden, wie und ob es mit einer Seilbahn für Hamburg weitergeht. Das Hamburger Abendblatt ließ gestern über die „Frage des Tages“ alle Online-Leser darüber abstimmen, welcher Standort geeigneter wäre. Erfreulicherweise wurde diese auch so verändert, dass sie den gemeinen Leser nicht mehr suggestiv dazu bringt, sich für den Standort St. Pauli auszusprechen. Das Ergebnis steht inzwischen fest:
Weitere aktuelle Informationen zu dem Thema Seilbahn auf St. Pauli gibt es auf dieser Facebookseite.
Außerdem veranstalten die Nexthamburg UG am Donnerstag einen Expertencheck zur Seilbahn.
Termin: Donnerstag, 20.6.: Braucht Hamburg eine Seilbahn? Was will die Stadt, was der mögliche Betreiber? Was wollen die Bürger?
Ort: Nexthamburg Salon, Bäckerbreitergang 14, Beginn: 19 Uhr.
St.Pauli trägt St. Pauli
„Die Straße trägt St. Pauli“ – so steht es in einem jeden Kapuzenpullover, T-Shirt, Trikot, Hut, Tasche, Hose, Baby-Lätzchen, Tanktop etc. pp. des von den Medien so gerne als „Kultverein“ titulierten Fußballclubs. Kaum ein Artikel, der noch nicht in das Totenkopf oder Vereinswappen gebrandete Sortiment aufgenommen wurde. Doch gerade im Stadtteil werden Stimmen lauter, dass die Artikel in einem preislich zu hohen Segment lägen und man sich mehr mit lokalen Anbietern denn einem großen Vermarkter solidarisch zeigen möchte.
Inzwischen gibt es zahlreiche Alternativen. Seine Liebe zum Verein und insbesondere zum Stadtteil St. Pauli kann man auch mit Textilien ohne Schädel ausdrücken. Ganz vorne mit dabei ist Michael Lutz, der mit seiner Kiezkicker-Kollektion besonders den Nerv der Bewohner St. Paulis und der dort arbeitenden oder zumindest mit dem Herzen lebenden Bevölkerung trifft. Die Kollektion wird ständig erweitert; T-Shirts, Hoodies, Mützen, Jutebeutel, Buttons und eine kleine Kinder-Linie sind inzwischen käuflich zu erwerben. Die Straße mit einem Stück aus der Kiezkicker-Palette auszustatten, steht natürlich im Vordergrund, doch Michael Lutz vergisst dabei nicht seine soziale Verantwortung. So beteiligen sich Kiezkicker an Hamburg teilt, unterstützen das Hinz&Kunzt Kickerturnier und setzen sich für Straßenkids in Hamburg ein.
Die soziale Verantwortung und die Liebe zum FC St. Pauli brachte drei Fans aus der Nordkurve des Stadions am Millerntor dazu, kreativ zu werden. Zu Beginn des Jahres fand wie üblich der Schweinske-Cup in der Alsterdorfer Sporthalle statt. Dabei handelt es sich um ein internationales Fußballturnier, das während der Winterpause immer zahlreiche Fußball-Fans in die Halle lockt. Im Januar 2012 kam es jedoch zu massiven Ausschreitungen zwischen zwei Fangruppierungen, über die Fans, Teilnehmer und Veranstalter gleichermaßen schockiert waren. Die anwesende Polizei konnte nicht verhindern, dass mehr als 70 Personen Körperverletzungen erlitten. Lokale Medien berichteten different zu anwesenden Fans über die Vorfälle rund um das Fußballturnier, das aufgrund der Gewalttaten abgebrochen werden musste; eine umfangreiche Zusammenstellung von Berichten liefert der Übersteiger.
Die drei eingefleischten FC St. Pauli-Fans, Anja, Thomas und Benni, waren und sind mehr als erbost über die Vorfälle und wollen es nicht hinnehmen, dass ihr geliebter Fußballclub auf derartige Weise in den Medien diffamiert und als „Krawallverein“ hingestellt wird. Ein zeitloses Motiv sollte gefunden werden, das sowohl an die Vorfälle erinnern, jedoch den Verein und seine Fans aus der Gewaltecke wegrücken sollte. Nach reiflicher Überlegung entschied man sich, den Ausspruch eines Mitarbeiters des FC während eines Fernsehinterviews als Leitmotiv zu nehmen. Als dieser mit dem Kommentar „vom Kultclub zum Krawallverein“ konfrontiert wurde, konterte er mit „Wir sind nicht der Club, der auf der Insel der Glückseligkeit lebt.“ Glücklicherweise fände Gewalt beim FC St. Pauli jedoch nur in einem sehr geringen Rahmen statt. Um an ebendiesen Ausspruch zu erinnern, entwarfen die drei Fans ein eigenes Logo mit Millerntor, Fernsehturm und Bunker – die Insel der Glückseligen. Die Kollektion gibt es für Deerns und Jungs, zu bestellen per Mail unter: insel.der.glueckseligen@googlemail.com ; bisher sind T-Shirts und Hoodies im Sortiment ab 19,10 € zu haben. Von jedem verkauften Stück fließen 2,50 € in die Solikasse, die zugunsten der Opfer des Schweinske-Cups eingerichtet wurde. Laufend aktuelle Informationen zu dem Projket erhält man auf der Facebookseite.
Sehr viel maritimer kommen die Jungs von MeerBrüder daher: auch ihre Shirts und Hoodies kommen direkt aus St. Pauli. Im Vordergrund ihrer Sachen steht jedoch nicht generell der Fußballclub, sondern die Piraterie: Augenklappen tragende Herzen, Jesus am Steuerrad eines Schiffes (ebenfalls als Pirat) und die „lustigen Grimmigen“ zieren die angebotene Kleidung. Als echte Hamburger Jungs und bekennende Meerliebhaber, lassen sie sich immer wieder etwas Neues einfallen, um die Bewohner der Stadt (und über deren Grenzen hinaus) Meerbrüder gerecht einzukleiden. Dem 2011 scheidenden Trainer des FC widmeten sie dann doch ein eigenes Motiv; als Fan kann man eben nicht ganz aus seiner Haut. Die vollständige textile Palette gibt es direkt bei den Meerbrüdern. Auch auf Facebook finden sich die MeerBrüder natürlich.
Ja, die Straße trägt St. Pauli. Aber das lässt sich auf vielfältige Weisen ausdrücken. Und wer nun Lust hat, leidenschaftliche, kreative, St. Pauli liebende Jungunternehmer zu unterstützen, der riskiert einfach mal einen Blick auf die angegebenen Seiten. Damit es heißt: St. Pauli trägt St. Pauli und St. Pauli trägt St. Pauli.
Die Straße trägt St. Pauli – St. Pauli trägt St. Pauli
„Die Straße trägt St. Pauli“ – so steht es in einem jeden Kapuzenpullover, T-Shirt, Trikot, Hut, Tasche, Hose, Baby-Lätzchen, Tanktop etc. pp. des von den Medien so gerne als „Kultverein“ titulierten Fußballclubs. Kaum ein Artikel, der noch nicht in das Totenkopf oder Vereinswappen gebrandete Sortiment aufgenommen wurde. Doch gerade im Stadtteil werden Stimmen lauter, dass die Artikel in einem presilich zu hohen Segment lägen und man sich mehr mit lokalen Anbietern denn einem großen Vermarkter solidarisch zeigen möchte.
Inzwischen gibt es zahlreiche Alternativen. Seine Liebe zum Verein und insbesondere zum Stadtteil St. Pauli kann man auch mit Textilien ohne Schädel ausdrücken. Ganz vorne mit dabei ist Michael Lutz, der mit seiner Kiezkicker-Kollektion besonders den Nerv der Bewohner St. Paulis und der dort arbeitenden oder mit dem Herzen lebenden Bevölkerung trifft. Die Kollektion wird ständig erweitert; T-Shirts, Hoodies, Mützen, Jutebeutel, Buttons und eine kleine Kinder-Linie sind inzwischen käuflich zu erwerben. Die Straße mit einem Stück aus der Kiezkicker-Palette auszustatten, steht natürlich im Vordergrund, doch Michael Lutz vergisst dabei nicht seine soziale Verantwortung. So beteiligen sich Kiezkicker an Hamburg teilt, unterstützen das Hinz&Kunzt Kickerturnier und setzen sich für Straßenkidsin Hamburg ein.
Die soziale Verantwortug und die Liebe zum FC St. Pauli brachte drei Fans aus der Nordkurve des Stadions am Millerntor dazu, kreativ zu werden. Zu Beginn des Jahres fand wie üblich der Schweinske-Cup in der Alsterdorfer Sporthalle statt. Dabei handelt es sich um ein internationales Fußballturnier, das während der Winterpause immer zahlreiche Fußball-Fans in die Halle lockt. Im Januar 2012 kam es jedoch zu massiven Ausschreitungen zwischen zwei Fangruppierungen, über die Fans, Teilnehmer und Veranstalter gleichermaßen schockiert waren. Die anwesende Polizei konnte nicht verhindern, dass mehr als 70 Personen Körperverletzungen erlitten. Lokale Medien berichteten different zu anwesenden Fans über die Vorfälle rund um das Fußballturnier, das aufgrund der Gewalttaten abgebrochen werden musste; eine umfangreiche Zusammenstellung von Berichten liefert der Übersteiger ().
Die drei eingefleischten FC St. Pauli-Fans, Anja, Thomas und Benni, waren und sind mehr als erbost über die Vorfälle und wollen es nicht hinnehmen, dass ihr geliebter Fußballclub auf derartige Weise in den Medien diffamiert und als „Krawallverein“ hingestellt wird. Ein zeitloses Motiv sollte gefunden werden, das sowohl an die Vorfälle erinnern, jedoch den Verein und seine Fans aus der Gewaltecke wegrücken sollte. Nach reiflicher Überlegung entschied man sich, den Ausspruch eines Mitarbeiters des FC während eines Fernsehinterviews als Leitmotiv zu nehmen. Als dieser mit dem Ausspruch „vom Kultclub zum Krawallverein“ konfrontiert wurde, konterte er mit „Wir sind nicht der Club, der auf der Insel der Glückseligkeit lebt.“ Glücklicherweise fände Gewalt beim FC St. Pauli jedoch nur in einem sehr geringen Rahmen statt. Um an ebendiesen Ausspruch zu erinnern, entwarfen die drei Fans ein eigenes Logo mit Millerntor, Fernsehturm und Bunker. Die Kollektion gibt es für Deerns und Jungs, zu bestellen per Mail unter: insel.der.glueckseligen@googlemail.com ; bisher sind T-Shirts und Hoodies im Sortiment ab 19,10 € zu haben. Von jedem verkauften Stück fließen 2,50 € in die Solikasse, die zugunsten der Opfer des Schweinske-Cups eingerichtet wurde. Laufend aktuelle Informationen zu dem Projket erhält man auf der Facebookseite.
Sehr viel maritimer kommen die Jungs von MeerBrüder daher: auch ihre Shirts und Hoodies kommen dierekt aus St. Pauli. Im Vordergrund ihrer Sachen steht jedoch nicht generell der Fußballclub, sondern die Piraterie: Augenklappen tragende Herzen, Jesus am Steuerrad eines Schiffes (ebenfalls als Pirat) und die „lustigen Grimmigen“ zieren die angebotene Kleidung. Als echte Hamburger Jungs und bekennende Meerliebhaber, lassen sie sich immer wieder etwas neues einfallen, um die Bewohner der Stadt (und über deren Grenzen hinaus) Meerbrüder gerecht einzukleiden. Dem 2011 scheidenden Trainer des FCs widmeten sie dann doch ein eigenes Motiv; als Fan kann man eben nicht ganz aus seiner Haut. Die vollständige textile Palette gibt es direkt bei den Meerbrüdern.
Ja, die Straße trägt St. Pauli. Aber das lässt sich auf vielfältige Weisen ausdrücken. Und wer nun Lust hat, leidenschaftliche, kreative, St. Pauli liebende Jungunternehmer zu unterstützen, der riskiert einfach mal einen Blick auf die angegebenen Seiten. Damit es heißt: St. Pauli trägt St. Pauli und St. Pauli trägt St. Pauli.
Abrechnung mit dem Ex ?!
Kaum jemand, der diese nicht kennt: Frust, Zorn, Trauer – vielfältige Gefühle kommen in einem hoch, wenn eine Beziehung auseinander geht, der eine den anderen verletzt hat. In extremen Fällen kann es zu folgender Gefühlsreihe kommen:
Phase 1: Die Tatsache der Trennung ist noch nicht verarbeitet, ergo noch nicht im Bewusstsein angekommen. Verdrängung.
Phase 2: Diese kann zwischen Selbstmitleid und hemmungsloser Feierei variieren; entscheidend dabei ist häufig der Faktor, wer sich von wem trennte.
Phase 3: Sollte man der Part des Duos sein, der verlassen wurde, so könnte nun Zorn aufkommen. Wut mischt sich womöglich darunter. Auch Rachegedanken können sich in die Reihe der vorangehenden Attribute einfügen.
Wie gestalten sich nun solche Rachegedanken in der modernen Zeit? Die Briefe des Ex verbrennen – etwas zu romantisch und angesichts der heutigen Zeit wegen fehlenden Materials kaum zu realisieren. Das Auto zerkratzen – auf St. Pauli gut möglich, dass dieser Akt der Rache nie als solcher erkannt wird. Ob dies an dem ohnehin desolaten Zustand des Vehikels liegt oder dem dem Stadtteil bereits assimilierten Vandalismus, sei dahin gestellt.
Kreativität bitte! In diesem Stadtteil ist man doch so geistreich, so eloquent, phantasievoll, nicht auf den Mund gefallen! Wenn man sich also wirklich an jemanden rächen will, dann greift man sich das heikelste Thema dieser Tage und macht es sich zu Nutze. Wohnungsnot! Es reicht eine einzige Anzeige in einem einzigen Immobilienportal mit dem Titel „Schöne 5 Zimmer Altbauwohnung auf St. Pauli“, eine kurze Beschreibung zu Größe und Ausstattung (Balkon und Terrasse!) und dem Hinweis „Ohne Maklercourtage“. Nun füge man nur noch die genaue Adresse mit Hausnummer und die korrekte Handynummer mit der Bitte, bei jeglichen Fragen „einfach anzurufen“, hinzu, und gebe noch einen allgemeinen Besichtigungstermin an einem Sonntagvormittag (auch ohne Anmeldung sei man herzlich willkommen, die Wohnung zu besichtigen) an. Fertig.
Ein an der Haustür hängendes Schild ließ jegliche Hoffnung der Wohnungsuchenden platzen – der Ärger, den der Bewohner der fünf Zimmer gehabt haben muss, wird weitaus immenser gewesen sein.
Das hier beschriebene Szenario ist rein fiktiv – zumindest, was die Vorgeschichte des Beziehungsendes angeht. Wer die Ironie an dieser Stelle noch nicht heraus gelesen haben sollte, dem sei an dieser Stelle mitgeteilt: ein solch asoziales Verhalten sollte bei jedem gesund denkenden Bürger jeglichem Verständnis für die Situation des Urhebers der falschen Anzeige entbehren, denn dieser schadete nicht nur dem / der Geschädigten, sondern auch den zahlreichen Wohnungssuchenden!
Fassunglos!