Woanders

Liebe in Zeiten von Corona

Ganz genau, dies soll ein Kapitel über die Liebe sein. Die Liebe zur Freiheit, die Liebe zur Solidarität und natürlich über die Liebe zu diesem mir so ans Herz gewachsenen Ort.

Ursprünglich hatte ich nur einen 12 tägigen Aufenthalt an meinem von mir so gerne als Happy Place titulierten Ort geplant. Unter uns: gefühlt verweile ich hier immer zu kurz, ob sieben, zehn oder 14 Tage. Mit Freundinnen und Kollegen in Hamburg stand ich im engen Kontakt und als ich hörte, wie sich die (Arbeits-)Situation in der Heimat veränderte, besprach ich mich kurzerhand mit Arbeitsumfeld und Vorgesetzten und beschloss, noch etwas länger an diesem Ort zu bleiben. Sonne, Meer und liebe Menschen lockten zu sehr, um diese Möglichkeit nicht zu ergreifen und stattdessen direkt nach Rückkehr im Homeoffice zu arbeiten.

Letzter Sonnenuntergang vor dem Hausarrest

Am letzten Abend von am kommenden Tag abreisenden Freunden gingen wir noch einmal in recht großer Gruppe essen und beschlossen danach noch in einer Bar den Abend ausklingen zu lassen. Wir hatten zu dem Zeitpunkt gerade erfahren, dass es ab Montagmorgen, 8 Uhr eine Ausgangssperre geben solle; was man sich genau darunter vorstellen könne, war mir zu dem Zeitpunkt nicht klar, hatte ich solches doch noch nie zuvor erlebt.

Kurz vor Mitternacht erschien der Besitzer der Bar am Kickertisch und teilte uns mit, dass wir sofort gehen müssten, man hätte die Sperre vorgezogen und alle Bars und Restaurants hätten sofort zu schließen. Das war schon etwas seltsam, auf Gomera dauern die Abende ohnehin nie besonders lange an, aber dass sie so Hals über Kopf beendet werden, war dann doch eher ungewöhnlich. Am nächsten Morgen hörte ich unter meinem Fenster die Cafés eröffnen, ihre Terrassen mit Sitzmobiliar bestücken und dachte zunächst, dass es dann doch nicht so dramatisch werden könne, wie Einheimische es am Abend zuvor bereits befürchtet hatten. Doch schon kurze Zeit später kam die Guardia Civil (Polizei mit Stellung als Berufssoldaten) und teilte mit, dass man umgehend zu schließen habe.

Der Strand wird abgeriegelt

In diesem Moment bemerkte ich bereits einen Wandel der Stimmung. Nicht dass es falsch verstanden wird: die GC war freundlich, setzte eher darauf, dass man sich den Anweisungen einfach fügte. Am Verbleib der Menschen auf der Promenade und auch am Strand bemerkte man schon, dass viele es nicht so ernst nahmen. Aber was denn auch genau? Wir alle lieben unsere Freiheit und lassen uns dieser nur ungern berauben. Und nun hatte man (die meisten als Urlauber an diesem Ort) über das Internet oder durch Mund zu Mund Verbreitung erfahren, dass man nicht mehr auf die Straße dürfe. Aber warum? Es gab keinen offiziellen Aushang, keine Verlautbarung auf dem zentralen Platz oder ähnliches. Es hieß schlicht, dass das Dekret vom 14. März 2020 fortan verbiete, ohne triftigen Grund auf die Straße zu gehen. Man solle einfach in seiner Unterkunft bleiben. Ob es meiner deutschen Mentalität zuzuschreiben ist oder meiner Begriffsstutzigkeit oder was auch immer, in mir wuchs ein trotziges „aber warum denn?“

Strand gesperrt

Und so kamen wir (alles Alleinreisende) am ersten Abend noch zu dritt bei mir auf dem Balkon zusammen und verbrachten einen geselligen Abend bei Wein und Tapas zusammen. An der Strandpromenade unter meinem Fenster hatte man bereits Absperrungen zum Strand aufgestellt und wir hörten, dass dies an allen Stränden im Valle Gran Rey so gehandhabt wurde. Der Strand wurde polizeilich geräumt, die Menschen aus dem Wasser gepfiffen.

Hinweis beim Bäcker

Am nächsten Tag bemerkte ich direkt beim Erwachen, dass sich einiges verändert hatte. Ich ging zum Bäcker und spazierte direkt hinein, da dieser so schön leer war, wurde aber umgehend hinauskomplimentiert und bemerkte erst dann, dass die vermeintlich gesellige Runde direkt vor der Tür die Schlange der Wartenden war. Im Bäcker selbst waren nur noch zwei Personen zugelassen, zum Tresen musste ein Abstand gewahrt werden. Dann sah ich auch die Schlange der Wartenden vor dem Supermarkt. Es machte sich keine Panik breit, ging ich doch davon aus in einem Land wie Spanien nicht zu verhungern, aber dieses Anstehen war schon … mindestens seltsam. Rebellisch wie ich war besprach ich mich mit einem dort lebenden Freund und wir fuhren zu dritt zu einem Supermarkt einen Ort weiter, den man noch ohne Wartezeit problemlos betreten konnte. Wir deckten uns mit handelsüblichen Mengen von Lebensmitteln ein und fuhren wieder nach Hause. Und dort blieben wir dann auch. Inzwischen war es bereits üblich, dass die Polizisten einen auf der Straße ansprachen, wohin man des Weges sei. Auf Gomera-Seiten im Netz las ich von dort lebenden Deutschen, dass sie sich wahnsinnig über das unsolidarische Verhalten der Touristen aufregen würden, weil diese einfach nicht kapierten, dass man einfach zu Hause bleiben solle. Ohne zu hinterfragen, einfach hinnehmen. Zu diesem Zeitpunkt fand in meinem Kopf, also in meinem Denken bereits ein Wandel statt. Hatte sich zunächst alles dagegen gesträubt, solch in meinen Augen sinnloses hinzunehmen, begann ich zu begreifen. Ich musste nicht jede nicht bis zum Ende durchdachte Handlung verstehen und konnte mich trotzdem an das #QuedateEnCasa (Bleib zu Hause) …gewöhnen? Halten? Respektieren.

Hinweise am Supermarkt

Dennoch ärgerte es mich, dass man zwar nur in kleinen Gruppen (zunächst waren es nur zwei Personen, dann wurde die Anzahl für den recht übersichtlichen Supermarkt auf 20 erhöht) ein Geschäft gleichzeitig besiedeln durfte, direkt davor aber dicht an dicht zu 40 – 50 Personen anstand. Doch auch hier kam schnell der Ruf nach Abstandeinhaltung. Beim Betreten des Supermarktes musste man die Hände desinfizieren und sich Plastikhandschuhe überziehen. Eine Maßnahme, die es bis heute bei uns noch nicht gibt.

Ich fand mich also mit der Situation ab, dass ich den Rest meiner Zeit dort in Hausarrest verbringen müsse. „Rest der Zeit“ – womit hatte ich denn zu rechnen? Ich telefonierte mit dem Auswärtigen Amt und man riet mir, mich umgehend um einen Rückflug zu kümmern. Dies war bereits zu diesem Zeitpunkt kein leichtes Unterfangen. Viele Flüge ersatzlos gestrichen, ich hatte die Wahl zwischen einem Gabelflug über Madrid (auf gar keinen Fall!!!) oder Dublin (nein, St. Patrick’s Day ohne Pubs? Ohne mich!), beide Angebote preislich im vierstelligen Bereich und jeweils nicht unter einer Reisedauer von 38 Stunden. Ich hakte die Flugsuche an jenem Tag für mich ab, nachdem auch Freunde in Deutschland inzwischen mitsuchten – ich hatte nur mein Handy ohne Wlan, die Airlines waren telefonisch nicht zu erreichen (Spitzenwartezeit von zwei Stunden, dann flog ich aus der Leitung) und zudem brauchte ich nicht nur den Flug von Teneriffa nach Deutschland (wohin dort war mir inzwischen egal), nein, ich benötigte auch erst einmal ein Fährticket von Gomera zur größeren Schwesterinsel mit internationalem Flughafen. Und hier kam ein weiteres Paradoxon zum Tragen. Denn die beiden diese Strecke bedienenden Fährlinien hatten die Frequenz reduziert und nahmen auch nur noch ein Drittel der Passagier mit. Wie sollte ich es nur mit dem Handy ausgestattet bewerkstelligen, gleichzeitig alles aufeinander abgestimmt zu buchen, um am Ende nicht mit einem nicht zu erreichenden Flug auf der Insel bleiben zu müssen oder nur mit einer Fährverbindung auf Teneriffa, wo es die zweitmeisten Erkrankungen der gesamten Kanaren gibt, zu stranden? Und da war sie: die Liebe zur Solidarität. Viele Freunde halfen mir in Hamburg sitzend, einer ganz besonders. Am nächsten Morgen rief er mich in aller Frühe an und verlangte umgehend nach meiner Ausweisnummer. Er habe einen Flug gefunden, auf dem es aber nur noch einen Platz geben würde. Schlaftrunken gab ich die Pass ID durch und erhielt kurz darauf die mich erleichternde und zu Freudentränen rührende Nachricht, dass alles erledigt sei und ich bald nach Hause kommen würde.

Verlassene Promenade – Hotspot und Treffpunkt in La Playa

Ich bereitete mich also innerlich auf die letzten Tage auf meiner geliebten (!) Insel vor und verfolgte, welche Verschärfungen es tagtäglich gab. Plötzlich hieß es, dass alle Touristen das Land bis zum 25.03.2020 zu verlassen hätten. Wie dies zu bewerkstelligen sei, wenn weder Fähr- noch Flugticket zu bekommen war, war dabei irrelevant – in meinen Augen war es das ohne das „levant“. Auf die Straße traute man sich inzwischen nicht mal mehr für kleinere heimliche Spaziergänge allein (ja, diese Frei… äh, Frechheit habe ich mir tatsächlich mit zurecht gelegten Zielen – Apotheke, Geldautomat, Busbahnhof) einfach herausgenommen. Denn auch diesen Punkt fand und finde ich kritisch. Nicht hinausgehen zu dürfen macht ganz viel mit einem, zwingt Dich, in einer Situation, die für die eine oder andere wahrscheinlich ohnehin schon schwer auszuhalten ist, Dich eingeengt zu fühlen. Ich lege hier tatsächlich mein Augenmerk auf Personen, die es brauchen auch mal nur um den Block gehen zu dürfen. Nicht außer Acht lassen sollte man aber natürlich auch die Familien, die teilweise zu viert mit zwei oder mehr Kindern kleine Apartments bewohnen, spielt sich das Leben doch üblicherweise draußen ab.

Am Abend vor der Abreise erfuhr ich dann, dass es auch nicht mehr erlaubt sei, zu zweit in einem Auto zu fahren. An dieser Stelle reichte es mir dann. Der Bus nach San Sebastian nahm nur noch die Hälfte der Menschen mit, was in Summe immer noch etwa 25 Personen waren. Diese fuhren dann 1,5 Stunden zusammen über die Insel. Mehr Busse wurden nicht eingesetzt, wer nicht mehr mitkam, hatte halt Pech. Man merkt: nein, das hatte für mich mit Logik gar nichts mehr zu tun und so hielt ich an dem Plan, mit einem ebenfalls abreisenden Bekannten am nächsten Morgen in seinem Mietwagen gemeinsam zur Fähre zu fahren, fest. Man muss hier betonen, dass die Polizisten zwar zur Einhaltung der Regeln patrouillierten, nachfragten wohin man des Weges sei und einen des Platzes verwiesen, aber besonders streng sanktioniert wurde es nicht, obwohl die Möglichkeiten der Bestrafung hier bei 500,- € anfingen und schwindelerregende Höhen annahmen. Kurz zusammengefasst, was sich im Laufe dieser wenigen Tage noch alles veränderte: Umzüge sind während der Ausgangssperre nicht gestattet, was eine Freundin in die Bredouille bringt, da sie durch die Schließung der Restaurants keinen Job mehr hat und ihre Wohnung viel zu teuer ist. Den Hund darf man nur noch sehr kurz, in unmittelbarer Umgebung und nur mit Handschuhen Gassi führen und dass man auch keinen Sport machen durfte, egal welcher Art an der frischen Luft, ist wohl obsolet zu erwähnen. Womit ich mich en Detail beschäftigt habe, kann an anderer Stelle erzählt werden.

Auf Teneriffa angekommen wehte dann ein anderer Wind. Aggressive, auf Englisch fluchende Polizisten, die die Leute anschrien wie man sich zu verhalten habe. Am Flughafen dann die Menschenmassen und dass der Flieger natürlich bis auf den letzten Platz ausgebucht war, muss wohl an dieser Stelle nicht erwähnt werden. Umso überraschter war ich, dass es bei der Einreise keinerlei Fragen gab, woher man käme oder zumindest Fieber gemessen wurde oder ähnliches. Problemlos erlangte ich so also wieder deutschen und hamburgischen Boden unter den Füßen.

Sabrina im Hausarrest

Ein Teil meines Herzens ist aber mal wieder dort geblieben. Auf dieser wunderschönen, magischen und für mich paradiesischen Insel. Dass die Anreise dorthin etwas beschwerlicher ist als an andere Orte, habe ich immer als Vorteil gesehen, dass die Abreise es mal in diesem Maße werden würde, hätte ich nie geahnt. Nichtsdestotrotz hoffe ich inständig, dass die vom Tourismus lebenden Gomeros diese harte Zeit irgendwie überstehen. Auch wenn ich sie immer liebevoll Bananeninsel nenne, ist von dem Export selbiger allein leider kein Überleben möglich. Auf jeden Fall hat sie mich auch dieses Mal wieder etwas gelehrt, meine Liebe zu ihr nur gestärkt und ich kann es kaum erwarten, wieder bei ihr zu sein. Auch wenn es jetzt bestimmt erst einmal gut ist, wieder hier zu sein. Bestimmt.

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